Ein Zukunftsmodell?

Apotheken ohne Arzneimittel-Einkaufsrabatte


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Im Grunde ist es – und war es schon immer – grotesk: Einerseits sind große Teile des Apothekensortiments preisgebunden, und die Aufschläge der einzelnen Handelsstufen sind centgenau festgelegt. Vor 2004 galt die Preisbindung noch für sämtliche apothekenpflichtigen Arzneimittel, so dass weit über 90 % des typischen Apothekensortiments einer Preisbindung mit geregelten Aufschlägen unterlagen. Heute sind es umsatzbezogen mit Rx-Präparaten gut 80 %.

Andererseits machen die erhaltenen Nachlässe und Rabatte von Großhandel und Industrie immer noch reichlich zwei Drittel der Apothekengewinne aus. Letztere liegen bei knapp 3 Milliarden Euro, die Rabatte betragen mehr oder weniger deutlich über 2 Milliarden Euro. Geschätzt etwa eine Milliarde dürfte auf das Rx-Segment entfallen, der ein wenig größere Teil auf die Non-Rx-Produkte von der Zahnpasta-Tube über den Läusekamm bis zur Schmerzmittelpackung. Oder anders gewendet: Mit den heutigen Honoraren ließe sich die Masse der Apotheken gar nicht mehr betreiben, gäbe es die Nachlässe von Industrie und Großhandel nicht. Und ohne diese Rabatte wären so manche OTC-Preiskämpfe, inzwischen nicht zuletzt durch Corona und allgemein engere wirtschaftliche Spielräume spürbar weniger geworden, gar nicht denkbar.

Bei Licht betrachtet handelt es sich aber um ein bigottes, unehrliches System – und das ist zudem so komplex gestrickt, dass viele Kunden ihre Großhandelsrechnungen nicht verstehen und sich dann teils eigener Berater und Rechnungsprüfer bedienen. Verrückter geht es eigentlich nicht. Nicht zuletzt vertieft dieses System die Spreizung zwischen starken und schwachen Apotheken, wobei stark und schwach sich vor allem auf die Packungszahlen beziehen. Und diese hängen mehr vom Standort ab als von der pharmazeutisch-heilberuflichen Leistung. Nun ist es im Handel allgemein üblich, dass Rabatte zu den berühmten „Skaleneffekten“ zählen (deren Existenz bei uns ja gern aus manch berufenen Mündern bestritten wird). Durch die rein ökonomische Kaufmannsbrille betrachtet wäre insoweit alles im grünen Bereich. De facto ist es das aber nicht, denn der Gesetzgeber mischt sich auf der Einkaufsseite immer stärker ein. Das jüngste Skonto-Urteil des Bundesgerichtshofs hat seinen Ursprung ja in den – strittigen bzw. unklaren – Formulierungen der Arzneimittelpreisverordnung und den Erläuterungen hierzu.

Um den Apotheken ihr „Einkaufserlebnis“ monetär zu verleiden, bieten sich besonders gern Eingriffe bei der vorgelagerten Handelsstufe – nämlich dem Großhandel – an. Dessen Spannen kann man dann an das Direktgeschäft anlegen und insoweit dort die Nachlässe ebenfalls deckeln. Das ist in den letzten gut 20 Jahren mehrfach unter steter Abschmelzung der Spannen bzw. Rabatte erfolgt. Zudem hat man die Naturalrabatte verbannt, mit Ausnahme des „Randsortiments“ (= Nichtarzneimittel). Diese Rabattform hatte einst eine nicht unerhebliche Bedeutung, heute ist das Geschichte. Die Apotheken wären längst kollabiert, hätten nicht stets steigende Packungspreise die schwindenden prozentualen Margen auch bei den Rabatten kompensiert. Doch wie weit soll das „race to the bottom“ noch gehen?

Es ist Zeit für eine grundlegende Neuausrichtung. Die marktliberale Lösung würde zumindest die Einkaufsbedingungen freistellen und nur den Endpreis deckeln. Radikal gedacht, würde die Preisbindung im Rx-Segment ganz fallen. Krankenkassen leisten nur noch einen Festbetrag oder -zuschuss, die Apotheken wären in ihrer Preispolitik im Wettbewerb untereinander und gegenüber den Kunden frei. Bei Zahnersatz und Brillen läuft es im Grunde schon lange so. Es wäre das Ende der preispolitischen Gängelung, und trotz Versandkonkurrenz: Die Chancen sind unverkennbar.

Die Alternative: umfassende Abschaffung aller Nachlässe („Vorteilsannahmeverbot“) zumindest für Rx-Arzneimittel, weiter gedacht für alle apothekenpflichtigen Arzneimittel, verbunden mit einer erneuten OTC-Preisbindung (ja, der Versand …). Die Rabattsummen wären zu ermitteln und auf die Apotheken als höheres Packungshonorar vollumfänglich auszuschütten, unter Kappung der Großhandelsmargen. Beide Wege haben ihre Schatten- und Sonnenseiten. Der heutige, unehrliche Mittelweg führt aber geradewegs an die Klippen, solange man nicht generell mehr Geld ins System geben will.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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