Die Ära der Gen- und Zelltherapien startet durch

Apotheken-Tod durch die Kanüle?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

„Viele Hunde sind des Hasen Tod“ – dieses Sprichwort kann sich auch für die Apotheken bewahrheiten. Ungeachtet der vielen nervenden und immer stärker wirtschaftlich belastenden Randbedingungen – von erstickender Bürokratie bis erodierender Honorarbasis –, gibt es für jedwede Branche nichts Gefährlicheres als wegbrechende Märkte. Schrumpfende Märkte ziehen stets mehr oder weniger brüske Anpassungsprozesse nach sich, und wo dann kräftig gehobelt werden muss, fallen reichlich Späne. Die Apotheken, wie übrigens der gesamte Gesundheitssektor, kennen so etwas nur vom Hörensagen. Bislang hat stetes Wachstum viele auch strukturelle Probleme kaschiert. Das könnte sich nun für unser Geschäftsfeld grundlegend ändern.

Stellen Sie sich vor, eine neuartige Therapie – gentechnologisch oder durch Gewebezüchtung, neudeutsch tissue engineering – könnte Diabetes tatsächlich heilen. Selbst wenn dies einen sechsstelligen Betrag erfordern würde, ist es ein Rechenexempel vor allem für nicht allzu alte Patienten, dass sich diese Investition rechnet. Das bedeutet umgekehrt, dass das Geld nicht mehr über Jahre und Jahrzehnte hinweg in die Apotheken und Arztpraxen getragen wird, sondern auf einen Schlag in der Kasse einer entsprechenden Gentechnik-Firma landet. „Lifetime-Betrachtungen“ können erstaunliche Ergebnisse zutage fördern, was solche Chroniker-Patienten heute tatsächlich kosten, insbesondere wenn man die Spätkomplikationen mit berücksichtigt. Diese Kosten auf Raten und für das „dicke Ende“ könnten massiv reduziert werden.

Das liegt jedoch oft noch weit in der Zukunft, während Kostenträger auf das Hier und Heute schauen. So verwundert es nicht, dass die Krankenkassen längst ein Auge auf die neuen Therapieverfahren (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP) werfen. So befürchtet die Techniker Krankenkasse in ihrem jüngsten Report („Arzneimittel-Fokus: Gentherapeutika – Hoffnungsträger oder Systemsprenger?“, Februar 2024) nach einer allerdings recht holzschnittartigen Modellrechnung zusätzliche Kosten für die gesetzlichen Kassen in Deutschland im Bereich von 35 Milliarden Euro. Stellt man allerdings den Nutzen dagegen, sieht die Rechnung bereits wieder anders aus. Möglicherweise sind Ratenzahlungen je nach Erfolg einer Hochpreistherapie ein Ausweg.

In jedem Falle verschieben sich damit Wertschöpfungsketten massiv, und die Gewinner von gestern bzw. heute können morgen zu Verlierern werden. Allein die bekannten GLP-1-Agonisten haben bereits den Anbietern von Dialysezentren einen empfindlichen Rücksetzer an der Börse beschert, und das sind ganz konventionelle Arzneimittel, die dem Problem der Übergewichtigkeit und ihren Folgen wie dem metabolischen Syndrom wohl gar nicht einmal nachhaltig beikommen dürften. Welche tektonischen Verschiebungen würden da erst wirklich kausal-kurativ wirksame Gen- oder Gewebezüchtungsverfahren bewirken? Apotheken machen ihr Geschäft vor allem mit den vielen Chronikern, die regelmäßig ihre Rezepte einlösen. Würden hier Gentherapien bei Massenindikationen wie Diabetes, Herzinsuffizienz, Alzheimer und Co. ansetzen, wäre dies dramatisch.

Zur einstweiligen Beruhigung sei gesagt, dass wir hier über langfristige Prozesse reden. Heutige Dauertherapien mit Generika sind zudem so billig, dass die Hürden für teure kurative Verfahren hoch liegen. Bisher fokussiert man sich auf Spezialindikationen mit heute sehr hohen Langfrist-Behandlungskosten oder überhaupt noch fehlenden Therapiealternativen. Hier werden eher die aktuellen Hochpreis-Präparate tangiert, die aber nur einen recht geringen Anteil am Ertrag der Apotheke ausmachen.

Weiterhin ist die therapeutische Realität oft komplexer, als dass sie sich monokausal auf einen einzelnen (gentherapeutischen) Eingriff reduzieren ließe. Diabetes 2 ist ein prominentes Beispiel (wie auch Bluthochdruck oder die meisten Hyperlipidämien), während Diabetes vom Typ 1 eher adressiert sein könnte; das sind aber nur wenige Prozent des Diabetes-Marktes. Somit werden die neuen Therapieverfahren tatsächlich den Apothekenmarkt der Zukunft tangieren – auf die Sicht von Jahrzehnten und scheibchenweise. Aber eine neue Ära der Therapien nimmt gerade Fahrt auf. Die Jüngeren von uns werden es zu spüren bekommen.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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