Rechtliches Update zu TI-Ausfällen, dem Cardlink-Verfahren und unzulässiger Werbung

Wildwest-Zustände rund ums E-Rezept


Dr. Bettina Mecking

Die massiven Störungen und Ausfälle der TI in letzter Zeit werfen die Frage auf, wer dafür haftet und wie Apotheken den entstandenen Schaden zurückfordern können. Auf der anderen Seite müssen Apotheken die Verantwortung für E-Rezepte, die über das von den Versendern durchgesetzte Cardlink-Verfahren eingelöst werden, übernehmen. Wie passt das zusammen? Eine rechtliche Einordnung.

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Nahezu täglich kam es in den letzten Wochen zu bundesweiten Ausfällen der Telematik-Infrastruktur (TI) – mal beim E-Rezept, mal bei der ePA, mal bei der Gesundheits-ID. Die Ursachen sind vielschichtig: Zuletzt lag es an technischen Problemen auf Seiten eines Software-Unternehmens. Apotheken sind häufig die Leidtragenden dieser anhaltenden Störungen: Die Patienten sind frustriert und wandern zur (Online-)Konkurrenz ab, der Vertrauensverlust ist groß. Schließlich ist die lokale Nähe verbunden mit der schnellen Verfügbarkeit der Arzneimittel eines der wichtigsten Pfunde der Vor-Ort-Apotheken.

Wer haftet bei TI-Ausfällen?

Grundsätzlich lassen sich Haftungsfragen dieser Art nur auf Grundlage der individuellen Begebenheiten beantworten. Der Gesetzgeber hat in den Gesetzen rund um die TI – insbesondere in den §§ 306 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) V – keine speziellen Regelungen bezüglich der Haftung und etwaiger Schadensersatzansprüche implementiert.

Insofern ist auf die allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zurückzugreifen. Die im BGB normierten Haftungstatbestände (§§ 280 ff. BGB) setzen allesamt voraus, dass dem Anspruchsgegner ein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Mit Blick auf mögliche Schadensersatzansprüche kommt es zudem auf die Geschäftsbedingungen in den Individualverträgen, die zwischen der Apotheke und dem jeweiligen Dienstleister geschlossen wurden, an – Stichwort eventuelle Haftungsausschlüsse. Eine solide Bewertung kann hier grundsätzlich nur einzelfallbezogen durch einen Rechtsanwalt erfolgen.

Um die Verantwortlichen für die für Apotheker und Ärzte gleichermaßen ärgerlichen wie kostspieligen TI-Ausfälle stärker in die Pflicht nehmen zu können, bräuchte es ein System, bei dem ausdrücklich eine Haftung für Ausfälle implementiert ist.

Grundlage wäre ein ausdrückliches Anrecht auf die Verfügbarkeit der TI-Services für alle Beteiligten. Ausfälle müssten den betroffenen Leistungserbringern dann entsprechend finanziell erstattet werden – und zwar sofort und unkompliziert, nicht über aufwändige und teure Gerichtsverfahren!

Erst solche klare Haftungsregelungen würden dazu führen, dass der Verbund aus Gematik, GKV-Spitzenverband, KBV & Co wirklich alles dafür tut, um solche Ausfälle der TI auf ein Minimum zu begrenzen. Bislang hält sich der Ehrgeiz diesbezüglich ziemlich in Grenzen – der Bundesgesundheitsminister hat es noch nicht einmal für notwendig erachtet, sich dazu überhaupt zu äußern. Und natürlich müssten solche Haftungsregelungen erst einmal gesetzlich verankert werden.

E-Rezept-Sicherheit: Darf‘s auch etwas weniger sein?

Damit nicht genug kommt durch das Cardlink-Verfahren neues Ungemach auf die Apotheken zu: Einerseits werden inländische Unternehmen dazu gezwungen, höchste Sicherheitsstandards zu befolgen (und zu bezahlen), doch nun werden alle Sicherheitsbedenken für die Handy-App über Bord geworfen.

Bekanntlich hat das Bundesgesundheitsministerium, das 51 Prozent der Anteile an der gematik hält, unlängst trotz deutlicher Warnungen die technischen Vorgaben für dieses Verfahren durchgeboxt. Alle anderen Gesellschafter – sowohl die Leistungserbringer als auch Kostenträger – hatten dagegen gestimmt.

Das Cardlink-Verfahren ermöglicht einen ortsunabhängigen Abruf von E-Rezepten mittels eGK. Dabei fungiert das NFC-fähige Handy der Patienten als mobiles Kartenlesegerät. Die Versichertenkarte, die ebenfalls NFC-fähig sein muss, wird an das Handy gehalten, auf dem eine entsprechende App installiert ist.

Diese kann sich dann über den Cardlink mit dem Konnektor einer Apotheke verbinden und nach einem Versichertenstammdatenabgleich die E-Rezepte vom Fachdienst abrufen. Eine PIN wird nicht benötigt, die Kartennummer reicht zur Legitimation.

Pikant ist der Hintergrund für die Einführung des Cardlink-Verfahrens: Weil die Versender beim bislang am häufigsten verwendeten Einlöseweg – dem Stecken der Karte in der Apotheke vor Ort – außen vor sind und sich einen „rein digitalen“ Einlöseweg gewünscht haben, haben sie in Berlin Druck gemacht. Ganz offensichtlich mit Erfolg.

Die Einlösung von E-Rezepten über das Cardlink-Verfahren bringt die Vor-Ort-Apotheken in ein Dilemma: Sie können nicht bewerten, ob die eingesetzten Apps zuverlässig sind, müssen aber dennoch die Verantwortung für die Nutzung mitübernehmen. Und das bei der persönlichen Vollhaftung der Apothekeninhaber inklusive Privatvermögen – ein Unding.

Wachsende Flut an Rechtsverstößen

Zugleich werben die begünstigten Arzneimittelversender mit in dieser Form noch nie dagewesenen finanziellen Vorteilen.

Von einem Anbieter wird ein doppelter Rezeptbonus für Selbstzahler von bis zu 60 Euro pro Rezept ausgelobt. Das Inaussichtstellen eines solchen Rezept-Bonus ist wettbewerbswidrig, da er gegen § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) verstößt, der derartige Zuwendungen verbietet.

In dem vorliegenden Fall greift auch keine der Ausnahmen: Bei einem Bonus von bis zu 60 Euro handelt es sich sicher nicht um eine geringwertige Kleinigkeit gemäß § 7 Ziff. 1. Auch eine Zuwendung gemäß § 7 Ziff. 2a liegt nicht vor, da hierunter lediglich ein Barrabatt – entweder prozentual oder in einer bestimmten Höhe – auf das unmittelbar erworbene verschreibungspflichtige Medikament fällt.

Der ausgelobte Bonus hat eine andere Stoßrichtung: Er wird nicht mit dem Produkt verrechnet, für das er gewährt wird, sondern er verlockt den Kunden dazu, weitere Produkte – entweder gleichzeitig oder zeitlich versetzt – zu erwerben. Somit verleitet die Auslobung des Bonus den Verbraucher dazu, dass er weitere Arzneimittel erwirbt.

Dadurch, dass ihm in Aussicht gestellt wird, diese kostenlos oder zu einem deutlich ermäßigten Preis zu beziehen, wird er unsachlich beeinflusst. Das wiederum beinhaltet die Gefahr, dass der Kunde Arzneimittel erwirbt, obgleich diese gar nicht erforderlich sind. Letztendlich führt eine derartige Bonifizierung – insbesondere in der ausgelobten Höhe – dazu, dass der Verbraucher nicht mehr objektiv prüft, ob die Arzneimittel tatsächlich sinnvoll sind.

Aufgrund der Rechtsprechung reicht es bereits aus, dass eine unzulässige Werbung Elemente beinhaltet, die den unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimitteln fördern könnten. Es reicht aus, dass – im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdeliktes – ein Risiko für den unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimittel besteht. Dies ist ohne Weiteres gegeben.

Als Rechtsfolge des festgestellten Verstoßes besteht zunächst der Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). Zu dessen Ausräumung ist die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erforderlich.

Darüber hinaus kann auch gemäß § 8 Abs. 1 UWG ein Anspruch auf Beseitigung geltend gemacht werden. Dieser umfasst im vorliegenden Fall den Widerruf des zum Zeitpunkt der Abmahnung bereits gewährten Bonus gegenüber dem Verbraucher. Soweit dieser den Bonus bereits in Anspruch genommen hat, muss er von dem Versender darüber informiert werden, dass er den Differenzbetrag, der aufgrund der Boni-Gewährung nicht in Rechnung gestellt wird, ggf. nachzahlen muss.

Geschenke ohne Grenzen

Abschließend betrachten wir noch eine weitere unzulässige Werbung eines Online-Anbieters: Dieser hat anlässlich eines Firmenjubiläums eine „GRATIS XXL-Kondompackung zu Deiner nächsten Bestellung!“ ausgelobt. Klickt man den Newsletter an, gelangt man unmittelbar auf die entsprechende Internetseite mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

Die Kondome, die hier als Zugabe ausgelobt werden, werden anderswo für 15 bis 20 Euro angeboten. Die Auslobung verstößt ebenfalls gegen § 7 HWG. Die Wertgrenze liegt hier nach wie vor bei etwa 1 Euro. Betrachtet man diesen höchstrichterlich bestätigten Maßstab, besteht keine Diskussion darüber, dass es sich bei der Großpackung Kondome nicht um geringwertige Kleinigkeiten handelt und eine solche Werbung insoweit zu unterlassen ist. Auch hier muss der Rechtsweg beschritten werden.

Vor dem Hintergrund dieser systematischen Rechtsverstöße durch Arzneimittel-Versender wäre es freilich mehr als wünschenswert, wenn man die wachsende Flut an rechtswidrigen Online-Angeboten allein schon aus Gründen des Verbraucherschutzes einfach „abschalten“ könnte ...

 

Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin und Geschäftsführerin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(07):14-14