Digitale Sicht- und Freiwahl

Die Beratung rückt stärker in den Fokus


Frank Weißenfeldt

Moderne Lösungen wie eine digitale Sicht- bzw. Freiwahl ermöglichen Apotheken eine flexible Präsentation der Produkte und eröffnen überdies neue Möglichkeiten für das Beratungsgespräch. Für welche Betriebe sich eine solche Investition lohnt, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

Die Zeiten ändern sich - das gilt auch für die Präsentation der Frei- und Sichtwahl: Digitale Lösungen bieten u.a. mehr Flexibilität. (© AdobeStock/Marco2811)

Auf Basis der von Insight Health veröffentlichten Umsatzzahlen von Vor-Ort-Apotheken für 2023 entfallen auf apothekenpflichtige OTC-Arzneimittel rund 5,9 Mrd. und auf das sogenannte Randsortiment (nicht apothekenpflichtige Arzneimittel sowie Ergänzungsprodukte) nochmal knapp 4,5 Mrd. (Basis: realer AvP ohne Mehrwertsteuer). Bei 17.500 öffentlichen Apotheken in Deutschland erwirtschaftet im Durchschnitt jeder Betrieb etwa 330.000 € mit OTC-Arzneimitteln und gut 250.000 € mit dem Randsortiment. 

Aufgrund der hohen Absatzzahlen und der Bekanntheit einzelner Marken sind Produkte des verschreibungsfreien Sortiments ferner ein zentraler Einflussfaktor für die Kundenfrequenz und -bindung. So hat die Sempora Apothekenmarktstudie 2023 (befragt wurden 1.009 Konsumenten) gezeigt, dass eine große Sortimentsauswahl und ansprechend gestaltete Verkaufsräume zu den Top-10-Einflussfaktoren für die Apothekenwahl zählen. Damit rangieren diese beiden mit der Sicht- und Freiwahl unmittelbar verbundenen Faktoren noch vor den Serviceleistungen Online-Bestellung und Botendienst, Bonusprogramme und Kundenkarte.

Zunehmende Verbreitung

Fachleute schätzen, dass zurzeit rund 3.200 Apotheken in Deutschland über großflächige Bildschirme in der Sichtwahl verfügen. Damit arbeitet bereits fast jede fünfte Apotheke in Deutschland mit einem digitalen Sichtwahlsystem (siehe Abb. 1). Und was bringt die Zukunft? Laut Sempora Apothekenmarktstudie planen weitere rund 2.300 Apotheken die Investition in eine elektronische Sichtwahl.

Abb. 1: Verbreitung digitaler Sichtwahllösungen in Apotheken

Quelle: Sempora Apothekenmarktstudie 2023 (n = 113 Apotheken)

Klare Vorteile im Beratungsgespräch

In Zeiten von akutem Fachkräftemangel ist der Einsatz digitaler Lösungen ein wichtiger Baustein, um die personellen Ressourcen zu schonen. Neben einem eigenen Webshop, einer Online-Vorbestellung, der Präsenz auf Social Media und weiteren Online-Services zählt die digitale Sichtwahl zu den beliebtesten digitalen Angeboten. Wichtig ist in diesem Kontext, dass die virtuelle Sicht- und Freiwahl ohne großen Aufwand in den Workflow der Apotheke eingebunden werden kann: Das System sollte sich unbedingt mit weiteren Lösungen – wie z. B. mit einem digitalen Touchscreen am HV-Tisch oder einem Kommissionierautomaten – kombinieren lassen!

Ein wesentlicher Vorteil der digitalen Sicht- bzw. Freiwahl ist, dass Sie die Platzierung der Produkte jederzeit ändern können. Eine intuitiv zu bedienende Software sowie aktuelle Bilder und Filme zu den Produkten zählen heute zum Standard. Die hohe Flexibilität der virtuellen Sicht- und Freiwahl sowie von digitalen Touchscreens am HV ist eine Bereicherung für das Beratungsgespräch. So kann Ihr Team über den Bildschirm sämtliche Warengruppen, Indikationen oder Dienstleistungen abrufen, wichtige Informationen zeigen und dadurch die Beratungsqualität verbessern. Weiterer Vorteil: Ihre Mitarbeiter bleiben im Kundendialog und müssen nicht in der Offizin hin- und herlaufen. Aufgrund der Darstellung auf den Bildschirmen wird es auch für die Kunden leichter, die besprochenen Informationen nachzuvollziehen.

Cross-Selling-Potenzial besser abschöpfen

Eine digitale Frei- und Sichtwahl bietet darüber hinaus die Möglichkeit, durch Berühren des Bildschirms Produkte auszuwählen und ggf. aus dem automatisierten Lager an den Point of Sale (POS) zu senden. Über eine virtuelle Platzierung können ferner saisonale Aktionen und Promotions (im Frühjahr „Allergien“, im Sommer „Reiseapotheke“, im Herbst „Vitamine“ und im Winter „Husten und Erkältung“) ansprechend dargestellt werden. Heuschnupfenmittel im Frühling oder Rhinologika während der Erkältungssaison lassen sich schnell und flexibel mit aktuellem Angebot anzeigen. Zudem können Aktionen wie z. B. „Ernährungsberatung“ oder das „Produkt des Monats“ gezielt am POS ausgespielt werden.

Überdies lässt sich mithilfe einer digitalen Sicht- und Freiwahl das Cross-Selling in Ihrer Apotheke optimieren: Zusatzempfehlungen werden automatisch angezeigt und das Beratungsgespräch dadurch unterstützt.

Berücksichtigen Sie dabei das Verhalten Ihrer Kundschaft: Montags und dienstags gehen viele zum Arzt, um anschließend dvas Rezept in der Apotheke einzulösen. Insofern empfiehlt es sich, Produkte für eine passende Begleitmedikation auf den Monitoren zu zeigen. Am Ende der Woche geht die Apothekenkundschaft „shoppen“. Tatsächlich zeigen Analysen immer wieder, dass an Freitagen und Samstagen im Schnitt mehr Körperpflege- und Kosmetikprodukte verkauft werden als zu Wochenanfang.

Tipp: Kombinieren Sie die Abbildung der Kosmetikartikel auf den Bildschirmen mit einem „Health & Beauty“-Aktionstag und bieten Sie z. B. eine Hauttypberatung an.

Weitere Vorteile: Die Facings – also jene Packungen, die die Kundschaft sehen kann – sind perfekt platziert. Zudem wird Ihr Apothekenteam entlastet, da die Regalpflege komplett oder zumindest weitgehend entfällt, ebenso das Nach- und Umräumen der Packungen. Auch werden Warenbestände abgebaut und dadurch die Kapitalbindung reduziert.

 

Praxistipp: Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete

Sie sind Inhaber und tragen sich mit dem Gedanken, in naher Zukunft großflächige Bildschirme in Ihrer Apotheke zu installieren? Dann sollten Sie folgende Punkte im Blick haben:

  • Besuchen Sie verschiedene Apotheken mit Monitoren hinter dem HV-Tisch, um einen Eindruck zu erhalten. Wie wirkt die digitale Sichtwahl von außen und von innen? Sind die abgebildeten Artikel und Schriftzüge auf den Bildschirmen innerhalb und außerhalb der Apotheke gut zu erkennen?
  • Welche Möglichkeiten bietet Ihnen eine digitale Freiwahl als Ergänzung oder Alternative zur konventionellen Freiwahl? Insbesondere in größeren Apotheken besteht die Möglichkeit, die traditionelle Freiwahl mit großflächigen Bildschirmen zu kombinieren. Das hat den Vorteil, dass Kunden z. B. Kosmetikprodukte haptisch wahrnehmen können – und gleichzeitig virtuell das gesamte Sortiment einer Kosmetiklinie gezeigt werden kann.
  • Ergibt sich ein harmonischer Eindruck – auch in Kombination mit den „analog gestalteten“ Bereichen? Weckt eine elektronische Sicht- bzw. Freiwahl die Neugierde meiner Kundschaft?
  • Und last but not least: Beschäftigt sich mein Team gerne mit neuen Ideen und Technologien? Erläutern Sie Ihren Mitarbeitern ggf. die Vorteile einer digitalen Freiwahl und binden Sie das Team aktiv in den Prozess ein.

Vorschlag: Diskutieren Sie diese Fragen mit befreundeten Kollegen sowie mit (fachfremden) Freunden, von denen Sie ehrliche Antworten erwarten können.

Fazit

Eine digitale Sicht- bzw. Freiwahl ist wahrscheinlich dann die richtige Investition, wenn die Monitore hinter dem HV bzw. die großflächigen Bildschirme im Verkaufsraum zum Image sowie zur Apothekenmarke passen und mit der Inneneinrichtung gut harmonieren. Apotheker, die bereits solche Lösungen im Einsatz haben, berichten zudem, dass diese in Kombination mit automatisierten Prozessen zu einer stärkeren Kundenorientierung führen: Nicht mehr die Beschaffung und Abgabe der Packungen, sondern das Beratungsgespräch steht im Fokus. Insofern gilt: Achten Sie als Apothekenleiter oder -Inhaber darauf, dass Sie die Prozesse in Ihrer Offizin möglichst effizient gestalten. Und falls Sie sich für eine digitale Sicht- bzw. Freiwahl entscheiden: Vergessen Sie nicht, Ihr Team mitzunehmen!

 

Frank Weißenfeldt, Diplom-Betriebswirt und MBA, Senior Business Development Manager, Insight Health GmbH, 65529 Waldems-Esch, E-Mail: FWeissenfeldt@insight-health.de

 

Quellen

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(09):12-12