Zeit für „Schnäppchenjäger“?

Im Wertevernichtungs-Modus


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Unternehmenswerte kommen nicht nur den Firmeneignern zugute, zumal sie erst einmal realisiert werden müssen, was im Falle des Verkaufs ganzer Firmen oft gar nicht so einfach ist. In freien Märkten schützen hohe Firmenbewertungen auch vor ungewollten Übernahmen und schaffen zusammen mit dem erwirtschafteten Cashflow die Grundlage für Investitionen und Expansion. Umgekehrt bedeuten schwindende Bewertungen nicht nur Einbußen für die Inhaber, sondern schwächen den Bewegungsspielraum und die Wettbewerbsfähigkeit bis hin zur Gefährdung der Zukunftsfähigkeit. Darunter leidet nicht zuletzt die Volkswirtschaft. Ein bedeutender Teil des Volksvermögens besteht aus Firmenwerten und so manchen „stillen Reserven“ gern in Immobilienform. Besonders an der Börse werden diese Spielregeln sichtbar und gnadenlos gespielt. Wenn eine Firma für alle offenkundig beispielsweise mehr Schulden als Börsenwert hat, ist alsbald die Jagd eröffnet, wie gerade prominent bei der Bayer AG. Es geht also mitnichten nur um die Kassenlage der „bösen“ Aktionäre und Firmeninhaber.

Apotheken sind den Stürmen des freien Kapitalmarktes insoweit qua Fremdbesitzverbot entzogen. Im Moment kann man dafür nur dankbar sein, denn die schwindenden Renditen drücken die Apothekenwerte nach unten. Sie wären bei Fortsetzung der gegenwärtigen Politik bald zu Ausverkaufspreisen zu haben, ein Fest für mutige Investoren: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern!“. Nun, soweit ist es im Großen nicht. Doch über welche Größenordnungen reden wir überhaupt?

Der Apothekenmarkt peilt stramm die 70-Milliarden-Euro-Marke an. Ziehen wir die Spezialumsätze (Zytostatika, Krankenhausbelieferung, Altenheime) ab und machen zudem einen Abschlag für unverkäufliche Apotheken (die es immer schon gab, nur inzwischen immer mehr), dann bleiben vielleicht um die 45 bis 50 Milliarden Euro an mehr oder weniger noch gut verkäuflichem Umsatz. Es gab Zeiten hierzulande (und Länder, in denen es heute noch so ist), wo ein Jahresumsatz als Bewertung aufgerufen wurde. Lange Zeit waren es um 25 % des Umsatzes oder etwa ein Jahres-Rohertrag. Der „verkäufliche“ Rohertrag dürfte sich bundesweit um 10 bis 12 Milliarden Euro bewegen. 25 % von 45 bis 50 Milliarden Euro Umsatz ergeben übrigens eine ähnliche Größenordnung. Das kommt gerade ins Rutschen. Wenn nur noch Umsatzrenditen von im Schnitt 4 % bis 5 % aufgerufen werden, abzüglich eines Geschäftsführerlohns oft noch kaufmännische 1 % bis 2 %, dann bleibt nicht mehr allzu viel Substanz, auf der man eine langfristig tragfähige Bewertung abseits von Ausverkaufspreisen aufbauen kann.

An der Börse wird gern das Zehn- bis Zwanzigfache des dortigen Bilanzgewinns bezahlt, bei intakten Aussichten. Nicht wenige Paradepferde der deutschen Industrie notieren deutlich unter einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10, darunter Namen wie BASF, die meisten Autowerte und Banken, aber auch eine Allianz AG kommt kaum über 10. Was würde man da einer heutigen Apotheke zubilligen? Oftmals um 2 bis gut 3 Jahresgewinne (großzügig auf Basis EBITDA betrachtet, damit unbereinigt um den kalkulatorischen Unternehmerlohn). Angesichts der Umsatzexplosion bei zurückbleibenden Renditen dürften heute viele noch verkäufliche Apotheken im Bereich um die 20 % vom Umsatz angemessen bewertet sein, oder eher etwas unter einem Jahresrohertrag – wenn überhaupt jemand kauft. Top-Lagen spielten und spielen jedoch noch in einer eigenen Liga, zumal es ja nach wie vor renditestarke Betriebe gibt. Das sind aber zunehmend seltene Filetstücke.

Was wären da für Werte zu heben, wenn wieder Berechenbarkeit in den Markt einziehen würde und der stete Abwärtstrend bei den Renditen gestoppt würde! Viele Wege können dahin führen. Neben der vieldiskutierten Honorarfrage wären das eine gründliche bürokratische und operative „Entschlackungskur“ sowie die Erschließung neuer Märkte. Allein Cannabis, so stiefmütterlich verachtet, könnte bei einer möglichen zweiten Chance unter einer neuen Regierung die eine oder andere Milliarde Rohertrag einbringen. Und nun rechnen Sie diesen Zusatzertrag (bzw. den resultierenden Zusatzgewinn) einmal in Unternehmenswerte um, plus Sicherheitsgewinn für alle! Andere neue Märkte locken ebenfalls. Der finale Ausverkauf ist kein unabänderliches Schicksal, aber ausgeschlossen ist er auch nicht.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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