Dr. Hubert Ortner
Wer zu spät kommt, ... (AdobeStock_alphaspirit)
„Ich bin immer da, wo die Krise ist.“ Und in den letzten anderthalb Jahren ist der auf Unternehmens-Restrukturierungen und Insolvenzen spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Moritz Wollring, von dem dieses Zitat stammt, immer häufiger in der Apothekenbranche gefragt. Hatte sich Anfang 2023 noch alle zwei Monate ein Apotheker an seine Kanzlei gewandt, so sind es mittlerweile zwei Anfragen pro Woche.
Dr. Moritz Wollring „Unsere Expertise liegt darin, Unternehmen auch dann noch saniert zu bekommen, wenn sie eigentlich schon in die Insolvenz müssten. Dreh- und Angelpunkt dabei ist ein Überbrückungskredit, mit dem der Sprung aus der faktischen in die drohende Zahlungsunfähigkeit erreicht wird. Erst dann ist eine Restrukturierung mit einer nachhaltigen Entschuldung formal möglich.“
Überrascht ist Wollring von dieser Entwicklung nicht, „weil Apotheken gerade wirtschaftlich besonders leiden“. Noch vor einigen Jahren waren es die Bauunternehmen gewesen, die reihenweise in Schieflage geraten sind, jetzt sind es die Autozulieferer und Apotheken. Die wichtigsten Ursachen dafür sieht der Jurist in den zuletzt stark gestiegenen Kosten und der zunehmend dünner werdenden Liquiditätsdecke in vielen Betrieben.
Ein Problem (Zahlungsunfähigkeit) – drei Verfahren
Ein kleiner Lichtblick in diesem dunklen Kontext: Das über viele Jahrzehnte sehr konservativ geprägte deutsche Insolvenzrecht wurde in den letzten 15 Jahren deutlich modernisiert und um neue Möglichkeiten erweitert, von denen Schuldner stark profitieren können: So wurde 2011 in Anlehnung an das US-amerikanische Chapter 11 das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (§ 270a InsO) eingeführt, bei dem der Geschäftsführer des betroffenen Betriebs selbst die Aufgaben des Insolvenzverwalters übernimmt. Davor gab es nur die Regelinsolvenz. Zehn Jahre später (2021) wurde das Insolvenzrecht um ein weiteres Verfahren ergänzt – die Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -Restrukturierungsgesetz (StaRUG). Damit sieht das deutsche Insolvenzrecht für Unternehmen, die sich in einer wirtschaftlichen Schieflage befinden, aktuell drei mögliche Verfahren vor – die Reihenfolge gibt die „Schwere der Erkrankung“ wieder:
- Regel- (= harte) Insolvenz,
- Insolvenzverfahren in Eigenregie,
- Restrukturierung nach StaRUG.
Zuverlässigkeit lohnt sich
Welches Verfahren tatsächlich zur Anwendung kommt, entscheidet sich anhand mehrerer, in der Insolvenzordnung festgeschriebenen Kriterien. Die beiden wichtigsten sind
- der Grad der Zahlungsunfähigkeit, gemessen an der sog. „Liquiditätskennziffer“ (LKZ), sowie die
- Zuverlässigkeit des Schuldners.
Eine LKZ > 1,0 bedeutet, dass ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen zu 100 % nachkommt. Unterhalb eines Wertes von 0,9 gilt ein Betrieb als formal zahlungsunfähig. Liegt die LKZ aktuell zwar noch über 0,9 – es ist aber bereits absehbar, dass sie in naher Zukunft unter die Schwelle von 0,9 rutschen wird, spricht man von „drohender Zahlungsunfähigkeit“.
Die Zuverlässigkeit eines Schuldners bemisst sich vor allem daran, ob sein Unternehmen den Zahlungsverpflichtungen beim Finanzamt und der Krankenkasse nachkommt oder nicht.
Tabelle 1 fasst zusammen, wie sich aus diesen beiden Faktoren ableiten lässt, welches Verfahren wann zur Anwendung kommt. Tatsächlich standen rund 3.000 Insolvenzen im letzten Jahr gerade mal 13 Restrukturierungen nach StaRUG gegenüber – da gibt es insofern noch viel Luft nach oben ...
Um eine Restruktuierung nach StaRUG durchführen zu können, muss ein Betrieb allerdings noch deutlich mehr Kritierien erfüllen, als in Tabelle 1 aufgelistet: Diese sind im Textkasten unten zusammengefasst.
Formale Voraussetzungen für eine Restrukturierung nach StaRUG
Das zum 1.1.2021 in Kraft getretene Unternehmensstabilisierungs- und -Restrukturierungsgesetz (StaRUG) setzt die Europäische Restrukturierungs-Richtlinie (EU) 2019/1023 in deutsches Recht um. Es schafft einen rechtlich sicheren Rahmen zur Sanierung drohend zahlungsunfähiger Unternehmen außerhalb der Insolvenz.
Folgende Voraussetzungen muss ein Schuldner konkret erfüllen:
- Wichtigster Punkt: Das Unternehmen darf noch nicht zahlungsunfähig, sondern nur drohend zahlungsunfähig sein. Das bedeutet, die LKZ liegt noch über 0,9 – wird aber absehbar unter diesen Schwellenwert rutschen.
- Unter bestimmten Voraussetzungen (Details siehe nächste Seite) ist auch dann noch eine Restrukturierung nach StaRUG möglich, wenn die LKZ bereits < 0,9 ist.
- Der Unternehmer muss als zuverlässig gelten und darf weder gegenüber dem Finanzamt noch der Krankenkasse im Zahlungsverzug sein.
- Der Schuldner muss vor Gericht seine Vermögensverhältnisse offenlegen.
- Negativvoraussetzung ist, dass das Unternehmen ohne Restrukturierung zwingend in die Insolvenz gehen müsste.
- Der Unternehmer musss einen Restrukturierungsplan aufstellen, in dem eine Insolvenzquote errechnet wird, an der sich die Rückzahlungsquote für den Schuldenschnitt bemisst.
Regelinsolvenz: Apothekeninhaber werden doppelt bestraft
Dabei unterschätzen betroffene Unternehmen in aller Regel den Faktor Zeit. „Die meisten kommen erst, wenn es bereits zu spät ist“, lautet das nüchterne Fazit von Wollring. Ist die Unterdeckung schon so groß, dass sich die Zahlungsaufforderungen im Büro stapeln, oder gar die Lohnzahlungen nicht mehr gesichert sind, ist nichts mehr zu retten. Dann bleibt nur die Regelinsolvenz. Etwa die Hälfte der Apotheker, die sich in seiner Kanzlei melden, fällt in diese Kategorie. In diesem Fall wird vom Gericht ein Insolvenzverwalter eingesetzt, der den Betrieb i. d. R. drei Monate fortführt – genauso lange bezahlt die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld. Danach wird das Unternehmen veräußert oder (der Regelfall) geschlossen.
Bei der Regelinsolvenz wird das Gesamtvermögen des Inhabers (geschäftlich und privat) liquidiert. Außerdem darf dieser den Betrieb nicht weiter fortführen. Groteske Notiz am Rande: Weil das Insolvenzrecht mit dem Fremdbesitzverbot kollidiert, verliert der Apothekeninhaber mit der Insolvenz seine Betriebserlaubnis und im schlimmsten Fall sogar die Approbation. Damit wird dieser, so Wollring, „doppelt bestraft“.
Die harte Tour: Insolvenz in Eigenverwaltung
Beim Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung übernimmt der Apothekeninhaber selbst – allerdings unter der Aufsicht eines Sachwalters – die Aufgaben des Insolvenzverwalters. Auch hier wird aufgrund der Vollhaftung eingetragener Kaufleute (e. K.) das komplette Firmen- und Privatvermögen liquidiert. Das führt nach Wollrings Erfahrungen oft zu Verzögerungen, weil es für die Inhaber naturgemäß sehr hart ist, alles einschließlich der privat genutzten Immobilie zu veräußern.
Bei einem Filialbetrieb müssen alle Filialen verkauft werden – nur eine Apotheke darf der Inhaber nach abgeschlossenem Verfahren weiter fortführen. Ein weiterer Vorteil gegenüber der harten Insolvenz liegt darin, dass das Verfahren in Eigenverwaltung nicht mit dem Fremdbesitzverbot kollidiert.
Dr. Moritz Wollring: „Ich bin immer da, wo die Krise ist. Und das sind in letzter Zeit leider immer häufiger Apotheken.“
Königsweg: Restrukturierung nach StaRUG
Der Königsweg für die Sanierung eines angeschlagenen Betriebs ist zweifelsohne die Restrukturierung nach StaRUG. Genau das ist das Spezialgebiet der Kanzlei von Moritz Wollring: „Unsere Expertise liegt darin, Unternehmen auch dann noch saniert zu bekommen, wenn sie eigentlich schon in die Insolvenz müssten.“ Dem sind jedoch enge Grenzen durch die Insolvenzordnung gesetzt. Deshalb steht am Anfang eines neuen Mandats stets eine sorgfältige Analyse der Unternehmensstrukturen und Liquidität. „Oft herrscht das reine Chaos in der Buchhaltung, und es gibt noch nicht einmal eine ordentliche Liquiditätsplanung.“ Hat man sich einen ersten Überblick zur aktuellen Unterdeckung und Gläubiger-Struktur verschafft, fällt die wichtigste Entscheidung: Sind die Voraussetzungen für eine Restrukturierung erfüllt, oder bleibt nur die Insolvenz …?
Der Faktor Zeit spielt dabei, wie schon erwähnt, eine zentrale Rolle. „Viele Mandanten kommen erst zu uns, wenn ihre Liquiditätskennziffer schon deutlich unter 0,9 liegt“, erläutert Wollring, „wollen aber dennoch eine Restrukturierung machen“. Die meisten seiner auf Insolvenzen spezialisierten Kollegen würden in solchen Fällen üblicherweise aufgeben und den Mandanten klarmachen, dass an einer Insolvenz kein Weg vorbeiführe.
Sanieren statt liquidieren: Die Vorteile einer StaRUG-Restrukturierung
Im Vergleich mit einer Insolvenz bietet das StaRUG dem Schuldner mehrere substanzielle Vorteile:
- Die Verfügungshoheit bleibt erhalten: Der Unternehmer führt die Sanierung stets in eigener Regie und Verantwortung durch, vergleichbar mit einer Insolvenz in Eigenverwaltung.
- Der Restrukturierungsplan ermöglicht einen Schuldenschnitt mit einer festgelegten Rückzahlungsquote: Damit ist eine Entschuldung in relativ kurzer Zeit möglich.
- Das Privatvermögen des Schuldners wird nicht – wie bei der Insolvenz – liquidiert.
- Es braucht keine Einstimmigkeit wie bei einer außergerichtlichen Sanierung, sondern nur eine Drei-Viertel-Mehrheit der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Gläubiger.
- Das Verfahren findet – im Gegensatz zu einer Insolvenz – unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
- Der geldwerte Vorteil aus dem Schuldenschnitt muss nicht versteuert werden.
- Dem Schuldner haftet bei einer StaRUG-Restrukturierung nicht der Makel des Scheiterns an, wie es bei einer Insolvenz immer noch weit verbreitet ist.
Die bessere von zwei schlechten Optionen
So schnell gibt Wollring nicht auf. Er klärt zunächst mit den Hauptgläubigern, wie viel von den Verbindlichkeiten sie über welchen Zeitraum zu stunden bereit sind. Daraus lässt sich dann der Kapitalbedarf errechnen, der benötigt wird, um zunächst über den alles entscheidenden Schwellenwert einer LKZ von 0,9 zu kommen. An diesem Punkt gilt es, die Banken zu überzeugen, dem Schuldner diesen „Überbrückungsbedarf“ – zusätzlich zu den bereits vorhandenen Verbindlichkeiten – zu finanzieren.
Wer glaubt, die Banken würden hier schnell abblocken, um dem schlechten Geld nicht auch noch gutes hinterherzuwerfen, der verkennt die Lage: Typischerweise fallen die benötigen Überbrückungskredite deutlich niedriger aus als die bestehenden Gesamtverbindlichkeiten. Zudem sind erstere im Insolvenzrecht besonders geschützt und müssen – wenn es zur Restrukturierung kommt – zu 100 % zurückgezahlt werden. Last but not least sind Banken alles andere erpicht darauf, die Sicherheiten eines Schuldners zu verwerten, zumal da mitunter böse Überraschungen lauern ...
Am schwersten wiegt aber, dass die im Raum stehende Alternative für die Bank noch deutlich schlechter ist: Denn ohne Restrukturierung geht das betroffene Unternehmen zwangsläufig in die Insolvenz, und damit kann die Bank im Durchschnitt 95 % ihrer unbesicherten Verbindlichkeiten abschreiben. Das liegt daran, dass die Insolvenzquote hierzulande mit durchschnittlich 5 % extrem mager ausfällt.
„Viele Banken machen mit“, weiß Wollring aus langjähriger Erfahrung. Und je mehr unbesicherte Kredite sie „im Feuer stehen haben“, desto schneller unterschreiben sie den Vertrag. „Mittlerweile kommen sogar die Banken auf mich zu“, erklärt der Anwalt, „um bei Apotheken mit schlechter Prognose eine Restrukturierung durchzuführen“.
Vollständige Entschuldung in kurzer Zeit
Ist der Überbrückungskredit gesichert, folgt im nächsten Schnitt der Schuldenschnitt: Dazu wird im Restrukturierungsplan eine Rückzahlungsquote festgesetzt, die üblicherweise etwa doppelt so hoch liegt wie die durchschnittliche Insolvenzquote. Bei den Restrukturierungen, die Wollring bei Apothekern umgesetzt hat, liegt die Rückzahlungsquote typischerweise bei 10 % bis 15 %. Damit bekommen die Gläubiger im Durchschnitt mehr als das Doppelte erstattet als bei einer Insolvenz. Und der Unternehmer bekommt die Chance auf eine vollständige Entschuldung in kurzer Zeit – nur der Überbrückungskredit muss vollständig zurückbezahlt werden.
Natürlich muss die finanzielle Sanierung eines Betriebs von einem strukturellen Turnaround des operativen Geschäfts begleitet werden. Aber das ist erst der zweite Schritt – nach erfolgreich abgeschlossener Sanierung.
Zahnreinigung oder Wurzelbehandlung …?
Die Key Message von Moritz Wollring an Apothekeninhaber, die in Schieflage geraten sind, ist zweigeteilt:
1. Mit der Restrukturierung nach StaRUG gibt es seit 2021 eine Form der Sanierung, die ungleich besser ist als eine Insolvenz. Um ein Bild zu gebrauchen: Erstere entspricht einer professionellen Zahnreinigung, letztere einer Wurzelbehandlung mit mehreren Sitzungen und einem abgestorbenen Zahn als Endresultat.
2. Je früher der „Patient beim Zahnarzt erscheint“, desto besser stehen die Chancen, dass er um die schmerzhafte Wurzelbehandlung herumkommt. Moritz Wollring: „Die meisten Apothekeninhaber kommen aber leider viel zu spät!“
Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(19):6-6