Dr. Bettina Mecking

(Quelle: AdobeStock_SimpLine)
Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa suchen zwei Drittel der Menschen in Deutschland mindestens einmal im Monat eine Apotheke auf. Das unterstreicht: Für viele sind Apotheken mehr als nur eine Abgabestelle für Medikamente. Sie sind häufig erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Fragen.
Die ABDA spricht sich in ihrem aktuellen Strategiepapier „In eine gesunde Zukunft mit der Apotheke“ dafür aus, Apotheken stärker in die Versorgung von chronisch Kranken einzubinden. Stabil eingestellte Patienten sollen ihre Medikation direkt in der Apotheke verlängern lassen können, ohne jedes Mal den Weg in die Arztpraxis antreten zu müssen. Ergänzend schlagen die Apotheker digitale Erinnerungsservices für Folgerezepte und eine begleitende Therapiekontrolle vor. Die persönliche Beziehung zur Apotheke soll verfestigt werden.
Komfort mit erheblichen Risiken
Doch genau diese gewachsene Beziehung wird durch neue Geschäftsmodelle zunehmend unter Druck gesetzt. Ausländische Versandapotheken drängen mit aggressiven Werbestrategien auf den deutschen Markt – insbesondere mit sog. „Rezept-Management“-Konzepten in verschiedenen Spielarten. Dabei werden Patienten animiert, über eine App oder Webseite ein Abonnement abzuschließen, das automatisch regelmäßig Rezepte beim behandelnden Arzt anfordert, ohne dass der Patient selbst aktiv werden muss. Anschließend werden die Arzneimittel automatisiert direkt zugeschickt – ohne weiteren Arztkontakt und Beratung. Was auf den ersten Blick nach mehr Komfort klingt, birgt in der Praxis erhebliche Risiken.
Nach deutschem Recht ist die freie Wahl der Apotheke ein zentraler Grundsatz. Ebenso wichtig: Ärzte sowie Apotheker sollen unabhängig handeln – frei von wirtschaftlicher Einflussnahme oder organisatorischen Vorgaben Dritter. Rezept-Abo-Modelle unterlaufen diese Prinzipien und steuern Patienten in bestimmte Versorgungskanäle.
Gerne übersehen: das Abspracheverbot
Insbesondere die direkte Übermittlung elektronischer Rezepte vom Arzt an die (Versand-)Apotheke – etwa über KIM-Dienste oder E-Rezept-Upload-Portale – wird kritisch bewertet. Denn: Der Patient könnte das Rezept auch selbst über seine elektronische Gesundheitskarte abrufen und an eine Apotheke seiner Wahl weiterleiten. Eine direkte Übertragung an bestimmte Anbieter ist in vielen Fällen weder notwendig noch datenschutzrechtlich sauber geregelt.
Ein grundsätzliches Problem in solchen Fallgestaltungen ist, dass häufig von Zuweisungsverbot gesprochen wird und nicht auch von einem Abspracheverbot. Denn damit wird der Blick verstellt, dass die freie Wahl der Apotheke nur ein Teilaspekt der Regelung in § 11 ApoG ist. Es wird ausgeblendet, dass es keine Absprachen (gleich welcher Art) zwischen Arzt und Apotheke geben darf, damit beide Heilberufler ihre Tätigkeit frei von äußeren Einflüssen ausüben können.
Wie soll eine Apotheke, die beim Arzt eine Verschreibung angefragt hat, diese noch objektiv kontrollieren, nachdem sie diese selbst ausgelöst hat? Hier besteht ein Zielkonflikt, der sich nur dadurch auflösen lässt, dass ein derartig enges Zusammenrücken von Apotheke und Arzt grundsätzlich unterbunden wird.
Dies gilt unabhängig von einer (wie auch immer gearteten) Einwilligung des Patienten, da es auf diese mit Blick auf das Abspracheverbot überhaupt nicht ankommt.
AKNR mahnt Anbieter von Rezept-Abos ab
Zudem bieten die Online-Plattformen Versandkostenvorteile an, wenn die Kunden zusätzlich OTC-Arzneimittel bestellen. Damit werden diese dazu animiert, entsprechende Bestellungen auch ohne konkreten Bedarf aufzugeben. Darin dürfte ein Verstoß gegen das vom EuGH unter Verweis auf den Gemeinschaftskodex ausgesprochene Verbot liegen, für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu werben und deren Verbrauch zu fördern.
Aus diesen Gründen hat die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR), nachdem zahllose Beschwerden in Düsseldorf eingegangen waren, zwischenzeitlich den Anbieter eines bekannten Rezept-Abo-Konzepts abgemahnt.
Zwar mag in bestimmten Fällen das passgenaue Zusammenwirken verschiedener Leistungserbringer für eine erfolgreiche Behandlung förderlich sein. Insoweit kann es im Einzelfall auch zulässig sein, dass ein Patient den Arzt bittet, die Verschreibung – aus individuell nachvollziehbaren Gründen – an eine bestimmte, in dem Moment einmalig ausgewählte Apotheke zu übermitteln.
Bei jeder Form eines „institutionalisierten Versorgungsmodels“ stellt sich jedoch sofort die Frage, ob hier nicht tatsächlich ein unzulässiges, gezieltes Steuern von Patientenströmen vorliegt, das gegen den Grundsatz von § 11 ApoG verstößt.
Vor-Ort-Apotheken, die sich ein ähnliches Modell wünschen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass dies langfristig Tür und Tor für exklusive Verträge von Krankenkassen mit Einzelversorgern öffnet. Das Kollektivvertragssystem könnte so ausgehöhlt werden – zum Nachteil der überwiegenden Anzahl der Apotheken.
Rezepte auf Knopfdruck? Nein, danke
Auch Ärzte fühlen sich inzwischen von Mitbewerbern aus dem Netz massiv gestört. So vermitteln Plattformen wie TeleClinic bundesweit digitale Arzttermine, oft mit sofortiger Rezeptausstellung. Natürlich bietet die Telemedizin auch Chancen – etwa bei leichten Beschwerden oder in strukturschwachen Regionen – , doch braucht es klar definierte Qualitätsstandards!
Online-Plattformen konzentrieren sich auf einfache, schnell zu bearbeitende Fälle. Komplexe Anliegen werden abgewiesen oder weitergeleitet – oft an niedergelassene Praxen. So entsteht eine Zwei-Klassen-Versorgung: digitale Schnelldienste für einfache Fälle – und volle Wartezimmer für alle anderen.
Die Ärzteschaft in Nordrhein warnt: Die medizinische Vor-Ort-Versorgung dürfe nicht durch Online-Plattformen wie TeleClinic ersetzt werden, die „Rezepte per Knopfdruck“ ermöglichen. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) kritisiert mangelnde Standards: Eine qualitätsgesicherte Telemedizin, die mit einer digitalen Ersteinschätzung beginnt, dürfe auf keinen Fall ein Freifahrtschein für rezeptgenerierende Schnellkontakte sein!
Während die KVNO gegen das Geschäftsmodell klagt, kooperiert die KV Niedersachsen sogar mit TeleClinic. Patienten, die die Hotline 116117 anrufen, erhalten dort einen telemedizinischen Erstkontakt. Das sorgt für Unmut – nicht nur bei Ärzten, sondern auch bei der AKNR, die sich vor dem LG München in erster Instanz gegen die Verbindung von TeleClinic und DocMorris durchsetzen konnte.
Gesundheit darf kein Algorithmus sein!
Durch die wiederholte Abrechnung identischer Beschwerden über wechselnde Online-Ärzte wird das Quartalsprinzip der GKV ausgehebelt. Plattformen suchen sich selektiv einfache Fälle aus, Patienten mit komplexeren Beschwerden werden vertröstet. So entsteht ein weiteres Ungleichgewicht in der Versorgung: auf der einen Seite die Online-Ärzte, die sich die „Rosinen“ herauspicken, auf der anderen Seite die niedergelassenen Ärzte, die sich um die aufwendigen Fälle kümmern sollen.
Ganz ähnlich ist die Situation in der Arzneimittelversorgung: Hier ist es der Versandhandel, der sich die Rosinen herauspicken möchte. Dabei wird eines gerne übersehen: Die Apotheke vor Ort ist weit mehr als nur eine Abgabestelle für Arzneimittel. Sie ist Teil eines gewachsenen Netzwerks, kennt ihre Kunden, bietet Beratung, erkennt Risiken, hilft bei Wechselwirkungen – und nimmt sich Zeit. Dieses persönliche Vertrauensverhältnis kann keine Online-Plattform ersetzen! Gerade bei älteren Menschen und chronisch Erkrankten ist diese Betreuung oft entscheidend für den Therapieerfolg.
Es ist durchaus zu begrüßen, wenn digitale Innovationen das Gesundheitswesen bereichern – aber nicht auf Kosten von Sicherheit, Beratung und Menschlichkeit. Gesundheit darf kein Algorithmus sein! Sie braucht Zeit, Erfahrung und den verantwortungsvollen Umgang mit den Patienten und ihren Nöten.
Vor-Ort-Apotheken und niedergelassene Ärzte leisten diesen Dienst täglich – unabhängig von den Interessen Dritter, qualifiziert und wohnortnah. Politik, Krankenkassen und Gesellschaft sollten alles dafür tun, diese Strukturen zu stärken und Modelle zurückweisen, die Versorgung auf Schnelligkeit, Profit und Automatisierung reduzieren.
Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(09):14-14