Prof. Dr. Reinhard Herzog

Demografie als zentrale Bedeutung für die Wirtschaft - ein Ausblick.
(Bild: R. Herzog, generated with OpenAI)
Solange die Wirtschaftsleistung in erster Linie von Menschen erbracht wird und diese einen Lebenszyklus mit Phasen sehr unterschiedlicher Leistungsfähigkeit und Krankheitslast durchlaufen, solange spielt auch die Demografie eine herausragende Rolle für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen.
Im globalen Kontext entscheiden sich daran noch viel weitergehende Fragen des gedeihlichen oder weniger friedlichen Zusammenlebens. Die Bedeutung der Demografie als Grundlage für alles andere wird trotz vieler Diskussionen allzu oft immer noch unterschätzt.
Im Grundsatz ist die Zahl der Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Bevölkerung und die Schichtung der Altersklassen überschaubar. Es entscheiden die Geburten- sowie Sterberate, weiterhin die Zu- bzw. Abwanderung von Menschen aus einer Region, wie sich dort die Zahl der Bewohner entwickelt. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, muss jede Frau statistisch – bei einer 50 : 50-Geschlechterverteilung im reproduktiven Alter – 2 Kinder bekommen. Da nicht alle Nachkommen die Fortpflanzungsreife bzw. -fähigkeit erreichen, liegt der Wert noch ein wenig höher, eher bei knapp 2,1. Gerade die Zu- bzw. Abwanderungen unterliegen jedoch ganz erheblichen Schwankungen. Dazu werfe man nur einen Blick auf die Wanderungsbilanzen seit dem 2. Weltkrieg.
Die Geburtenraten schwanken nicht ganz so stark und zeigen in den Industrieländern tendenziell seit Jahrzehnten eine abnehmende Tendenz, mit dem einen oder anderen kleinen Zwischenhoch. Weltweit befinden sich die Geburtenraten sogar in einem starken Rückgang, gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Die Sterberaten wurden früher sehr stark von den Lebensbedingungen bestimmt. Um 1900 standen Infektionserkrankungen, Unfälle, gewaltsame Tode sowie schlicht der menschliche Verschleiß ob der Lebensumstände ganz oben auf der Liste der Gründe, warum die Lebenserwartung hierzulande 45 Jahre betrug (in Ländern wie Indien gar um 20 Jahre) und nur um die 40 % der Menschen überhaupt das 65. Lebensjahr erreichten. Heute sind es über 85 % der Männer bzw. gut 90 % der Frauen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs machten damals jeweils weniger als 10 % der Todesursachen aus, heute sind es um 35 % resp. knapp 25 %. Nicht zu vergessen die hohe Säuglingssterblichkeit, die um 20 % (weltweit über 30 %) betrug – und somit die statistische Lebenserwartung enorm drückte. Heute sterben bei uns weniger als 0,5 % der Säuglinge, weltweit 2,5 %. Diese Trends werden sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Unter anderem die Vereinten Nationen erstellen regelmäßig Vorausschauen zur demografischen Lage der Länder und der Welt (UN Population Prospects, aktuelle Version 2024). Man kann dort große Excel-Dateien herunterladen, welche alle Kenngrößen für die Länder und Regionen der Welt enthalten. Dabei werden drei Varianten (low – medium – high) erstellt, wir betrachten vorrangig die wahrscheinliche, mittlere.
Abbildung wie Tabelle 1 illustrieren die globale Lage und die Aussichten. Allen Krisen und Unkenrufen zum Trotz: Die Lage in der Welt hat sich enorm verbessert, und dieser Prozess wird sehr wahrscheinlich fortschreiten, selbst lokalen Rückschlägen zum Trotz. Man schaue nur auf die Säuglingssterblichkeit – gegenüber 1950 global um 80 % gesunken, und sie wird weiterhin deutlich abnehmen. Ähnlich beeindruckend die Zunahme der Lebenserwartung.
Abb. 1: Die Lage der Welt von 1950 bis voraussichtlich in 2100


Die Kehrseite liegt auf der Hand. Die Zahl der Menschen strebt ihrem Zenit entgegen, und nicht nur Europa, die gesamte Welt altert. Bester Indikator dafür ist das Medianalter, welches die Bevölkerung altersmäßig in genau gleich große Hälften teilt. Eine der spannendsten jüngeren Erkenntnisse ist, dass China uns in nicht allzu ferner Zukunft als „Altenheim der Welt“ überholen wird (die jahrzehntelang praktizierte „Ein-Kind-Politik“ hinterlässt ihre Spuren). Aber auch der Rest der Welt altert munter (Abbildung 2), wobei Afrika mit Abstand am jüngsten ist und bleibt.
Abb. 2: Entwicklung des Medianalters in der Welt – China bald ganz vorn

Die globalen Implikationen dieser nüchternen Kurven sind enorm. So erklärt sich zu einem guten Teil die zunehmende Aggressivität Chinas damit, dass dort demografisch bald die Felle davon schwimmen. Entweder man schafft rasch den flächendeckenden Aufstieg in die erste Welt, oder man wird wieder stark zurückfallen. Dies wiederum beflügelt die Spannungen mit der westlichen Welt, und diese Spannungen (u. a. den aktuellen Zollkrieg) spüren Sie über drei Ecken selbst in Ihrer Apothekenkasse. So schließen sich Wirkungskreise.
Und Deutschland?
Die Demografie, lange Jahre ein Thema für Theoretiker, zieht bei uns immer spürbarer die Zügel an. Es quietscht und knarzt bereits im Renten- und Gesundheitssystem, und dabei stehen die größten Herausforderungen erst noch bevor. Wir betrachten hier zwei große Themenfelder: Die Bevölkerungsentwicklung insgesamt sowie das Verhältnis von Alten zu Jungen („Altenquotient“).
Momentan wird konträr über die Zuwanderung diskutiert, die Geburtenrate steht weniger im Fokus. Beide sind die wesentlichen Treiber der demografischen Entwicklung. In Abbildung 3 sind beide Parameter verarbeitet worden („3D-Darstellung“). Die Berechnungen beruhen auf einem Modell des Autors, welches ausgehend von den Sterberaten und Geburtsziffern Hochrechnungen jahresgenau vornimmt, wobei sämtliche Parameter variiert werden können.
Abb. 3: Szenarien Bevölkerungsentwicklung in Deutschland, Zieljahr 2070

Grundsätzlich sind dies Modelle, welche durch die Realität überholt werden. So sind, wie erwähnt, Wanderungsbewegungen und Geburtenraten keine Konstanten. Dennoch zeigen solche Berechnungen Trends, Abhängigkeiten sowie Stellschrauben auf. Das Ziel-Prognosejahr ist jeweils 2070. Das mag weit weg liegen. Für die Jüngeren der Leserschaft markiert es jedoch den späteren Lebensabend, für Ihre Kinder noch die zweite Hälfte des Berufslebens.
Schlüsselfaktor Zuwanderung
Wir erkennen, dass wir ohne Zuwanderung erhebliche Einbußen bei der Bevölkerung hinnehmen müssten. Eine hohe Zuwanderung jenseits 500.000 netto jährlich (es werden ganz überwiegend junge Menschen mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis angenommen) führt zu starkem Bevölkerungsaufbau selbst bei recht geringen Geburtenraten, was infrastrukturell und gesellschaftspolitisch zu Herausforderungen führt. Ein guter Kompromiss dürfte eine Netto-Zuwanderung junger, arbeitsfreudiger Menschen um 300.000 bis 400.000 pro Jahr bei einer Geburtenrate von (noch) realistischen 1,4 bis 1,5 sein.
Schlüsselfaktor Altenquotient
Gerade für die Sozialversicherungen zählt der Altenquotient. Wir wählen hier noch die optimistische Variante, nämlich das Verhältnis der Menschen ab 70 in Relation zur Altersklasse 20 bis 69 (= länger arbeiten als heute). Dieser Wert liegt momentan bei 0,25, das Verhältnis ≥ 65 zu 20 bis 64 sogar bei 0,39. Abbildung 4 zeigt die Modellrechnungen. Nur mit enormer, konstanter Zuwanderung Junger ließe sich dieser Quotient stabilisieren.
Abb. 4: Modellrechnung Altenquotient 2070

Bei erwartbarer, niedrigerer Zuwanderung steigt er jedoch deutlich an. Je nach Variante kommen dann nicht vier Erwerbsfähige auf eine Person ab 70 wie heute, sondern nur drei oder gar unter zwei.
Auch hier scheinen um die 400.000 Zuwanderer bei einer Geburtenrate um 1,5 ein gangbarer Weg zu sein. In allen Szenarien gehen wir von nochmals 6 (Männer) bzw. 5 (Frauen) gewonnenen Lebensjahren aus.
Belassen wir es bei der heutigen Lebenserwartung, verbessern sich diese Quotienten spürbar um etwa 0,10 bis 0,15. Längeres Leben muss man sich leisten können! Eine kluge Politik gehört jedoch auch dazu.
Ausblick...
... auf Teil 2: Was bedeuten all diese Erkenntnisse für die Apotheken und den Gesundheitsmarkt? Bleiben Sie dran und lesen Sie in Kürze weiter!

Welche Rückschlüsse lassen die demografischen Entwicklungen zu?
(Bild: AdobeStock_ulf mine)
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(10):4-4