Wandel mit zahlreichen Folgen – Teil 2

Demografie – die Apotheken-Goldgrube?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Der demografische Wandel mag gesellschaftspolitisch und makroökonomisch enorme Herausforderungen darstellen. Aber beschert er nicht gerade den Apotheken goldene Zeiten? Diese Schlussfolgerung liegt nahe – die erschöpfende Antwort ist jedoch vielschichtiger.

Im Grunde sollte die demografische Entwicklung den Apotheken perspektivisch goldene Zeiten bescheren, hier lohnt aber ein genauer zweiter Blick (© AdobeStock).

Ältere Menschen bedeuten höhere Gesundheitsausgaben, natürlich auch Medikamentenkosten. Blickt man auf Abbildung 1, in welcher diese Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen pro Versichertem im jeweiligen Alter dargestellt sind, zaubert dies erst einmal ein Lächeln ins Gesicht. Selbst wenn dies die Kostenwerte der Krankenkassen sind (Apotheken müssen hier u. a. die Mehrwertsteuer abziehen), so sehen wir doch eine Vervielfachung der Ausgaben.

Abb. 1: Arzneimittel-Ausgabenprofile der GKV vs. Alter

2023 waren die 80- bis 90-Jährigen Männer gut 7-mal teurer wie die 20- bis 30-Jährigen, bei den Frauen betrug der Faktor knapp 5. Von 2013 bis 2023 haben die Älteren eine Kostensteigerung von 81 % (Männer) und 49 % (Frauen) hingelegt, das entspricht durchschnittlichen Jahresraten von 6,1 % bzw. 3,5 %. Im Vergleich dazu betragen bei den Jüngeren die Werte 63 % resp. 68 %, die Jahresraten 5,0 % bzw. 5,3 %.

Das alles sollte auf goldene (Umsatz-)Zeiten hindeuten. Umso mehr mag es erstaunen, dass der rein demografisch bedingte Anstieg der Apothekenumsätze und des Arzneimittelverbrauchs erstaunlich gering ausfällt. In Abbildung 2 wurden vier Szenarien A bis D von 2020 bis ins Jahr 2070 durchgerechnet:

Abb. 2: Künftige Apothekenumsätze (2020 = 100 %) vs. Bevölkerungsszenario

  • A: Keinerlei Netto-Zuwanderung, Lebenserwartung + 6 bzw. + 5 Jahre (m / w), Geburtenrate 1,4
  • B: Netto-Zuwanderung von 150.000 jährlich (vor allem Junge, ausgeglichenes Geschlechterverhältnis), aber keine Steigerung der Lebenserwartung mehr, Geburtenrate 1,5
  • C: Netto-Zuwanderung 350.000 p. a., Lebenserwartung nimmt zu wie bei A, Geburtenrate 1,5
  • D: 600.000 Netto-Zuwanderung p. a., Lebenserwartung nimmt zu wie bei A, Geburtenrate etwas höher bei knapp 1,6.

 

Wie die Balken (= Apothekenumsätze als Indexwerte, 2020 = 100 %) in der Zusammenschau mit den Linien (= Bevölkerung in Millionen) ausweisen, hängt der Branchenumsatz an der Bevölkerung, trotz der zunehmenden Zahl teurer Älterer. Da ist die Statistik gnadenlos, wenn man die Verbrauchs- und Kostendaten je nach Alter mit den zu erwartenden Personenzahlen ausmultipliziert.

Nach einem erstaunlich geringen Anstieg in allen Varianten droht der Abstieg, wenn die „Babyboomer“ zur Mitte des Jahrhunderts wegsterben, weitaus kleinere Rentnergenerationen nachwachsen und nur wenig zuwandert. Einige Prozentpunkte höher fallen die Verbrauchsprognosen (Tagesdosen) aus, aber mehr als rund 15 % Zunahme ist in den mäßigen Zuwanderungsszenarien A bis C auch nicht zu erwarten. Erst das Szenario D ergibt rund 30 % Verbrauchszunahme bis 2070 und rund 25 % beim Umsatz, bei am Ende gut 100 Mio. Einwohnern. Die Prognosen fußen auf der Basis von 2019/2020 noch ohne Corona-Effekte*, es wird nur die rein demografische Komponente in seinerzeitigen Preisen abgebildet.

Was folgt daraus? Der demografische Wandel ist per se nicht der Wachstumstreiber, wie viele denken. Er hat einen positiven Effekt, aber in überschaubarem Maß – unter oder allenfalls knapp 1 % pro Jahr. Das gilt für fast alle Gesundheitskosten. Das größere Problem besteht im Erhalt unserer Wirtschaftskraft. Es zeigt sich ein weiteres Mal, dass eine mäßige Zuwanderung im Bereich von 300.000 bis 400.000 pro Jahr den besten Kompromiss darstellen dürfte, um die Bevölkerungszahl, die Umsätze unserer Branche sowie die Wirtschaftsleistung zu erhalten.

Die Realität

Nun wissen wir, dass die realen Umsatzentwicklungen sich weit von den demografisch zu erwartenden abkoppeln. Für die Verbrauchsentwicklung gilt das weniger – siehe die mäßige Entwicklung der Packungszahlen. Tabelle 1 zeigt den Ausblick in drei Wachstumsvarianten (niedrig, mittel, hoch). In den letzten Jahren bewegten wir uns zwischen der mittleren und der hohen.

Die Roherträge basieren auf der heutigen Rx-Honorierung, mit einer prozentualen Komponente von 5,5 % inklusive eigener Rabatte. Im Non-Rx-Bereich wird eine Spanne von 40 % (Mittel aus Frei- und Sichtwahl) zugrundegelegt. Die Branchen-Startwerte für 2025 lauten auf 810 Mio. Rx-Packungen zu 55 Mrd. € Nettoumsatz sowie 1.050 Mio. Non-Rx-Packungen zu 11 Mrd. €. Außen vor bleiben Spezialumsätze wie Parenteralia sowie die Sonderhonorare (Boten- und Notdienste, pDL u. a.).

Der Blick sollte sich auf die Roherträge richten, in der inflationsbereinigten Form: Hier zeigt sich, dass die Wachstumsraten minimal sind oder gar leicht negativ. Kostensteigerungen oberhalb der Inflation würden zu wachsenden Einbußen bei den Betriebsergebnissen führen. Das fängt entweder der „Friedhofseffekt“ auf – oder eine verbesserte Honorar- und Ertragsbasis. Wahrscheinlich werden wir beides sehen (müssen).

* Corona hat Spuren u. a. in den Sterberaten hinterlassen, sodass eine Vor-Corona-Basis geboten ist. Eine Aktualisierung wird mit Daten ab 2024 erfolgen, aber keine grundsätzlich anderen Erkenntnisse bringen.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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Welche Rückschlüsse lassen die demografischen Entwicklungen zu?
(Bild: AdobeStock_ulf mine)

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(11):8-8