Jahresgespräche als Führungsinstrument

So schaffen Sie Klarheit für beide Seiten


Florian Giermann

Der Apothekenalltag ist i. d. R. eng getaktet. Die Zeit für persönliche Gespräche mit der Apothekenleitung ist rar und – wenn überhaupt – dann finden diese oft zwischen Tür und Angel statt. Dabei sollte mindestens einmal im Jahr ein strukturiertes Gespräch zwischen Ihnen als Inhaber oder Filialleiter und Ihren Mitarbeitern stattfinden. Dieses schafft Klarheit darüber, wie beide Seiten einander einschätzen – und ob sie noch am gleichen Strang ziehen.

Wer jetzt gleich innerlich abwinkt – „Woher soll ich denn auch noch Zeit für Jahresgespräche nehmen?“ – dem sei gesagt: Genau darin liegt das Problem. Inhaber und Filialleiter, die im Apothekenalltag so eingebunden sind, dass keine Zeit für Reflexion bleibt, riskieren, noch mehr Zeit durch fehlende Kommunikation zu verlieren. Insoweit spart ein gut geführtes Jahresgespräch langfristig sogar Zeit: Weil das Nachjustieren wegfällt und Konflikte reduziert werden.

Die Führungskraft lädt ein

Beide Seiten bringen in ein Jahresgespräch das Wertvollste mit, was sie haben: Zeit. Umso wichtiger ist eine gute Vorbereitung. Die Einladung sollte schriftlich und wertschätzend formuliert sein: per E-Mail oder über Tools wie Apocollect. Zwei bis vier Wochen Vorlauf sind ideal. Der Gesprächsort sollte ungestört und neutral sein.

Ein häufiger Einwand lautet: „Dann wollen die Mitarbeiter doch nur mehr Gehalt.“ Die Erfahrung zeigt: Das ist meist nicht der Fall – zumindest dann, wenn der Rahmen klar ist. Wird in der Einladung deutlich gemacht, dass es um den Abgleich gegenseitiger Erwartungen und nicht um Gehaltsverhandlungen geht, ist das Risiko gering. Sollte das Thema dennoch aufkommen, empfiehlt es sich, dieses freundlich, aber bestimmt auszulagern – verbunden mit dem Hinweis, dass man es notiert hat und zu gegebener Zeit darauf zurückkommen wird.

Wenn Sie als Inhaber bislang noch keine Jahresgespräche etabliert haben, empfiehlt sich zunächst ein behutsamer Einstieg. Wichtig ist eine positive Feedback-Kultur, die nicht mit Kritik gleichgesetzt wird. Jahresgespräche sind kein Tribunal, sondern eine Einladung zum Dialog! Dementsprechend sollten sie geprägt sein von Wertschätzung, Ehrlichkeit und dem gemeinsamen Ziel, die Zusammenarbeit zu stärken.

Ein gut vorbereitetes Jahresgespräch zeigt, dass die Führungskraft ihren Mitarbeitern Zeit, Aufmerksamkeit und Entwicklungsmöglichkeiten einräumt. Wer dabei klar und respektvoll kommuniziert, stärkt nicht nur die eigene Führungsrolle, sondern sendet zugleich ein wichtiges Signal: Dass Wertschätzung nicht nur im Lob, sondern auch im Zuhören liegt. Mitarbeiter spüren schnell, ob ein Gespräch nur pro forma geführt wird, oder ob von Seiten der Apothekenleitung echtes Interesse an ihrer Weiterentwicklung besteht.

Vorbereitung ist die halbe Miete

Ziel des Jahresgesprächs ist eine möglichst objektive Beurteilung der Leistung. Grundlage sind klar definierte Kriterien. Die folgenden Punkte haben sich in der Praxis bewährt:

  • Fachkompetenz
  • Motivation
  • Arbeitsorganisation
  • Termintreue
  • Arbeitstempo
  • Zeitmanagement
  • Auslastung (Menge & fachlich)
  • Belastbarkeit
  • Teamfähigkeit
  • Kommunikation/Informationsweitergabe
  • Kundenorientierung
  • Zielerfüllung

 

Gerade der letzte Punkt – Zielerfüllung – bezieht sich direkt auf die im Vorjahr vereinbarten Ziele. Zu solchen Bonusvereinbarungen gab es einen separaten Artikel des Autors in der letzten AWA-Ausgabe 12/2025 (ab Seite 10). Doch auch die übrigen Kriterien sollten mehr sein als bloße Schlagworte. Eine kurze Definition hilft, die Bewertung zu objektivieren. So lässt sich etwa Fachkompetenz definieren als das zur Qualifikation bzw. Stellenbeschreibung passende Fachwissen und dessen Anwendung im Berufsalltag. Wer es differenzierter mag, kann die Lernbereitschaft, Problemlösungskompetenz sowie Umsetzung neuer Erkenntnisse und gesetzlicher Vorgaben einbeziehen.

Diese Kriterien und Definitionen gehören auf einem Beurteilungsbogen verschriftlicht, der jährlich wiederverwendet wird. So entsteht ein Bild der Entwicklung der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters über einen längeren Zeitraum.

Methodisches Vorgehen

Stehen Termin und Kriterien, folgt die Bewertung. Hier bieten sich die bekannten Skalen an:

  • Schulnoten (1 bis 6) oder
  • differenzierter 1 – 10: 1 = geringste Erfüllung, 10 = Übererfüllung.

 

Wichtig ist die Konsistenz über die Jahre, um mittel- und langfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Einmal verwendete Bewertungsskalen sollten nicht ohne Not durch andere ersetzt werden.

Gerade in kleinen Teams kann es zu Beginn ungewohnt sein, Leistungen systematisch zu bewerten. Manche Mitarbeiter empfinden das als zu formal oder befürchten, in eine Schublade gesteckt zu werden. Hier hilft es, transparent zu machen, dass die Bewertung nicht als Schulnote im klassischen Sinn gedacht ist, sondern als Grundlage für gegenseitiges Verständnis und gemeinsame Entwicklung. Wenn die Führungskraft das so vermittelt, steigt die Akzeptanz – und mit ihr in aller Regel auch die Motivation, an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten.

Ein Gespräch ist immer ein Dialog. Deshalb füllen idealerweise beide Seiten vorab denselben Bogen aus: die Führungskraft aus ihrer Sicht, die Mitarbeiter zur Selbsteinschätzung. Aus dem Abgleich ergeben sich wertvolle Erkenntnisse:

  • Stimmen beide Einschätzungen positiv überein? In dem Fall ist Lob angesagt.
  • Stimmen beide negativ überein? Dann besteht Handlungsbedarf.
  • Oder divergieren die Einschätzungen deutlich? In dem Fall braucht es eine gezielte Nacharbeit.

 

Heikel kann es werden, wenn ein Mitarbeiter sich deutlich besser einschätzt als die Führungskraft. Aber genau dafür ist das Gespräch da: Um in einem geschützten Rahmen über Erwartungen, Hürden und Unterstützungsmöglichkeiten zu sprechen, noch bevor überhaupt Frust entsteht!

Dokumentation und Vereinbarungen

Ein wesentliches Ziel von Jahresgesprächen ist, dass die Mitarbeiter genau wissen, welchen Beitrag sie zum Apothekenerfolg leisten können und wie die Führungskraft das sieht. Die Einschätzungen sollten auf einem gemeinsamen Bogen festgehalten und von beiden unterschrieben werden. Das schafft eine gewisse Verbindlichkeit, und man kann im nächsten Jahr direkt darauf aufbauen.

Werden konkrete Maßnahmen vereinbart – z. B. Fortbildungen, Coachings, neue Aufgaben oder Verhaltensänderungen – gehören diese ebenso in die Dokumentation.

Nur einmal im Jahr?

Ein strukturiertes Jahresgespräch dauert in der Regel mindestens eine Stunde. Hinzu kommen Vor- und Nachbereitung.

In größeren Apotheken oder Filialverbünden hat es sich bewährt, dass Inhaber die Gespräche mit den Filialleitern führen und diese wiederum mit ihren Teams. In größeren Strukturen kann auch eine zusätzliche Teamleiter-Ebene eingeführt werden, um sicherzustellen, dass jeder Mitarbeiter verlässlich ein fundiertes Jahresgespräch bekommt.

Das erste Gespräch fühlt sich häufig noch ungewohnt an – auch der Autor selbst hat das seinerzeit so erlebt. Doch schon im zweiten Jahr wird es vertrauter, ab dem dritten gehört es meist zum festen Bestandteil der Führungsarbeit. Und nicht nur das: Als Instrument der Mitarbeiterbindung, Teamentwicklung und strategischen Steuerung ist es nahezu unbezahlbar. Die Klarheit, die in diesen Gesprächen entsteht, schafft beidseitiges Vertrauen, Orientierung – und Motivation.

Bleibt die Frage: Reicht einmal im Jahr? Für viele Apotheken sicher. Aber der Markt ist in Bewegung, und ein einziges Gespräch reicht oft nicht aus, um mit den z. T. rasanten Veränderungen Schritt zu halten. Deshalb setzen immer mehr Apothekenleiter zusätzlich auf unterjährige Kurzgespräche: Die sind kürzer, weniger formell, nehmen aber stets Bezug auf das Jahresgespräch. Sie finden bewusst nicht zwischen Tür und Angel, sondern in einem ruhigen Rahmen statt. Gerade diese Gespräche tragen maßgeblich dazu bei, Reibungsverluste zu vermeiden und bei Problemen ggf. frühzeitig gegenzusteuern.

In Zeiten von Unsicherheit, dem wachsenden wirtschaftlichen Druck und Fachkräftemangel braucht es mehr als gutes Tagesgeschäft. Es braucht Führung, die Orientierung gibt, Perspektiven aufzeigt und den Menschen hinter der Funktion sieht. Jahresgespräche sind dafür ein hervorragendes Werkzeug. Sie helfen, das Team nicht nur arbeitsfähig, sondern auch handlungsfähig zu halten. Genau das macht den Unterschied.

 

Florian Giermann, Berater, Speaker und Autor, Jurist, 67256 Weisenheim am Sand, E-Mail: info@floriangiermann.de

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