Nach dem (BGH-)Urteil ist vor dem (nächsten BGH-)Urteil

Zwischen frech und unverschämt


Dr. Bettina Mecking, M. M.

Die deutschen Vor-Ort-Apotheken erfüllen den gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag nach bestem Wissen und Gewissen. Parallel dazu haben sich in den letzten Jahren jedoch „digitale Ökosysteme“ entwickelt, in denen Rx-Arzneimittel zunehmend losgelöst von ärztlicher Betreuung und pharmazeutischer Beratung vermarktet werden. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) geht gegen diese Wettbewerbsverzerrung mit aller Entschlossenheit vor. Eine rechtliche Einordnung nach dem jüngsten BGH-Urteil.

Die Ignoranz der niederländischen Versender gegenüber dem Zugabenverbot im deutschen Heilmittelwerbegesetz (HWG)  ist schlicht unverschämt. (© AdobeStock/Nicole Effinger) 

Patientenschutz schlägt Rabatt-Show

Die derzeitig gültigen Regelungen wurden unter dem Leitbild stationärer Apotheken und klassischer Arzt-Patienten-Beziehungen entwickelt. Die Realität hat sich jedoch weiterentwickelt und fordert damit Gesetzgeber wie Gerichte gleichermaßen heraus. Dabei gilt es unbedingt zu beachten, dass die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, kontrollierten Arzneimittelversorgung nicht auf dem Altar von Schnäppchenpreisen und digitaler Bequemlichkeit geopfert wird!

So untergraben in jüngster Vergangenheit gleich mehrere Entwicklungen die etablierten Kontrollmechanismen – von der Plattformökonomie über Telemedizin-Start-ups bis hin zu grenzüberschreitenden Versandhandelsstrukturen. Sie bringen das bestehende Regelwerk zunehmend an seine Grenzen – ein unübersehbares Zeichen für eine Phase tiefgreifender systemischer Umwälzungen.

Jüngstes BGH-Urteil – (k)ein Gamechanger für Apotheken

Am 17. Juli 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) – nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung erwartungsgemäß – entschieden, dass die Werbung eines niederländischen EU-Versandhändlers mit Rx-Boni aus den Jahren 2012/2013 nicht wegen Verstoßes gegen die damalige Arzneimittelpreisbindung (§ 78 AMG a. F.) untersagt werden durfte. Der BGH hat klargestellt, dass sich diese Regelung rückwirkend nicht anwenden lässt, da sie durch das EuGH-Urteil von 2016 (Rs. C-148/15 – DocMorris) als europarechtswidrig eingestuft wurde.

Die Klage wurde bereits aus diesem Grund abgewiesen. Die Preisbindung für EU-Versender gilt seit Dezember 2020 nur noch im GKV-Sachleistungsbereich, geregelt im § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V. Ob diese Vorschrift europarechtskonform ist, hat der BGH im aktuellen Urteil nicht beurteilt und auch nicht dem EuGH zur Vorabprüfung vorgelegt.

Daher ist bis auf Weiteres vom Fortbestand dieser Vorgabe auszugehen. Eine abschließende rechtliche Klärung der Zulässigkeit von Rabatten nach geltendem Recht steht insofern noch aus.

Das vielbesprochene BGH-Urteil vom 17.07.2025 betrifft allein Preisnachlässe auf Arzneimittel selbst, nicht aber Boni oder Gutscheine, die für andere Produkte einlösbar sind. Letztere unterliegen dem Zuwendungsverbot des § 7 HWG, das am. 31. Juli 2025 vor dem BGH verhandelt wird.

Wenig überraschend haben die EU-Versender die jüngste BGH-Entscheidung öffentlich als großen Erfolg verkauft. Das ist jedoch völlig unangemessen, weil die entscheidenden Fragen in diesem Verfahren überhaupt nicht verhandelt wurden und dementsprechend noch offen sind. Tatsächlich ist die wirtschaftliche Relevanz direkter Rabatte gering, da GKV-Versicherte oft keine Zuzahlung leisten müssen und PKV-Versicherte Rabatte ggf. offenlegen müssen.

Für deutsche Apotheken gilt deshalb weiterhin:

  • Rabatte auf Rx-Medikamente sind nicht erlaubt.
  • Die Preisbindung gilt für EU-Versender nur noch bei Rx-Rezepten zulasten der GKV.
  • Im PKV-Bereich müssen Versandapotheken Rabatte offenlegen, da diese die Erstattung durch die private Krankenversicherung beeinflussen können.
  • An dieser Rechtslage hat sich durch das jüngste BGH-Urteil nichts geändert!

 

Provokante DocMorris-Reaktion auf dem Prüfstand

Nicht betroffen von dem Urteil ist hingegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG), das eigenständige Regelungen zur Werbung mit Boni und Rabatten enthält. Das ignorieren EU-Versender wie DocMorris geflissentlich und bewerben offensiv neue Rabattaktionen. Das kann bei Kunden den Eindruck erwecken, dass infolge des jüngsten BGH-Urteils solche Rabatte nun generell erlaubt sind – was irreführend ist.

Konkret wirbt DocMorris seit Kurzem wieder mit einem gestaffelten „Rezept-Bonus“ gegenüber Kunden, die rezeptpflichtige Arzneimittel bei dem Versender einlösen. Die Boni gelten sowohl für gesetzlich (GKV) als auch privat (PKV) Versicherte und variieren je nach Bestellwert. Juristisch wirft diese Werbepraxis gleich mehrfach Fragen auf:

DocMorris verspricht für die Einlösung eines Rezepts einen Bonus in Geldwert – beispielsweise 5 € bei einer Bestellung im Wert von 300 €. Dieser Betrag wird jedoch nicht sofort vom Preis des Arzneimittels abgezogen, sondern kann frühestens 14 Tage nach dem Kauf aktiviert werden. Er wird zudem entweder quartalsweise ausgezahlt (sofern der Betrag mindestens 1 € beträgt), oder alternativ bei Folgekäufen verrechnet, wenn der Kunde diese Option aktiv auswählt. Ein sofortiger Preisvorteil besteht also nicht.

Verstoß gegen das Zuwendungsverbot nach § 7 HWG

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) sind Zuwendungen und Werbegaben im Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneimitteln grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht gemäß Nr. 2a dieser Vorschrift nur dann, wenn es sich um geringwertige Zugaben oder um Preisnachlässe handelt, die unmittelbar auf den Preis des abgegebenen Arzneimittels wirken.

Bei dem oben beschriebenen „Rezept-Bonus“ ist das gerade nicht gegeben: Der Bonus ist nicht direkt preiswirksam, sondern ein künftiger Vorteil, der an weitere Bedingungen geknüpft ist. Damit liegt kein zulässiger Barrabatt im Sinne des HWG vor. Diese Auslegung wurde gerade durch das Urteil des BGH vom 17. Juli 2025 bestätigt, was diese Werbestrategie frech ignoriert!

Preiswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist laut BGH nur dann zulässig, wenn die gewährte Vergünstigung sofort den tatsächlichen Zahlbetrag mindert – was bei zukünftigen oder verrechenbaren Boni nicht der Fall ist.

Ergänzend ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Februar 2025 (Rs. C-530/21) hinzuweisen. Demnach reicht es für ein Verbot bereits aus, wenn ein Bonus, der bei der Einlösung eines Rezepts gewährt wird, auch für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel eingesetzt werden kann.

Damit ist klar: Die neuerliche DocMorris-Werbung verstößt gegen das im HWG verankerte Zuwendungsverbot und verletzt die Grundsätze der Arzneimittelpreisbindung – sie ist wettbewerbswidrig und damit juristisch angreifbar.

Irreführende Werbung gegenüber PKV-Versicherten

Ein weiterer rechtlicher Angriffspunkt ergibt sich aus dem Wettbewerbsrecht in Form des § 5 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb): Denn diese Art von Bonuswerbung kann gegenüber privat versicherten Personen irreführend sein. Zwar verspricht DocMorris auch PKV-Versicherten einen wirtschaftlichen Vorteil – faktisch profitieren diese jedoch nicht unbedingt davon. Denn privat Versicherte müssen den gewährten Bonus gegenüber ihrer Krankenversicherung korrekt angeben. Wird er nicht deklariert, handelt es sich potenziell um einen Abrechnungsbetrug. Wird er hingegen offengelegt, wird der Bonusbetrag vom Erstattungsbetrag abgezogen, sodass kein realer Kundenvorteil übrigbleibt.

Darauf hatte bereits das Landgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 13.06.2024 (Az.: 35 O 20/24 KfH) hingewiesen. Dort hieß es, dass ein Bonus, der nicht unmittelbar mit dem Produktpreis verrechnet wird, für privat Versicherte erstattungs- und anzeigepflichtig sein kann. Eine Werbung, die dennoch einen unmittelbaren geldwerten Vorteil suggeriert, ist damit objektiv irreführend – ein klarer Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht.

AKNR setzt mit Abmahnung ein klares Zeichen

Apotheken, Wettbewerber und Wettbewerbsverbände haben hier eine klare Grundlage für wettbewerbsrechtliche Schritte. Angesichts der wiederholten Versuche ausländischer Versandapotheken, durch „kreative Bonussysteme“ die arzneimittelrechtliche Preisbindung zu umgehen, ist es umso wichtiger, dass der inländische Apothekenmarkt weiterhin auf Rechtssicherheit und Transparenz pocht – im Interesse von Patientensicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) hat bereits die Initiative ergriffen und DocMorris abgemahnt. Damit möchte man in Düsseldorf einmal mehr ein klares Signal in den Markt senden, dass neben der Arzneimittelpreisbindung weitere Wege und Rechtsmittel zur Verfügung stehen, um solche fragwürdige Werbung zu untersagen.

 

Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(15):14-14