Prof. Dr. Reinhard Herzog
49 % Wachstum im Rx-Segment (1. Halbjahr 2025 ggü. Vorjahreszeitraum bei der Redcare Pharmacy) = Alarmstufe rot? Was, wenn das in diesem Tempo weitergeht? Wie sieht dann der Markt bald aus? Solche Fragestellungen haben wir simuliert. Das Modell dahinter illustriert vereinfacht Abbildung 1. Wir teilen den Kuchen zwischen Versand und Vor-Ort-Apotheken nach Stückzahlen auf, hinterlegen diese mit den Stückerträgen und projizieren dies auf Basis der Marktentwicklung in die Zukunft. Wir wagen so einen Ausblick auf 2030.

Tab. 1: Vereinfachte Darstellung Rechenmodell Versand versus Apotheken
Grob teilt sich der Apothekenmarkt (mit Versand) in etwa 800 Mio. Rx-Packungen (nur Human-Fertigarzneimittel ohne Impfstoffe) und circa 1.250 Mio. Non-Rx-Packungen, wobei dies eine grobe Gesamtbetrachtung bis hin zum letzten Hustenbonbon oder Läusekamm darstellt. Sie ergibt sich zum Teil aus Marktdaten wie z. B. von Insight Health oder IQVIA sowie aus Abfragen der Warenwirtschaftssysteme. Relativ unstrittig ist, dass der Versand in 2025 in diesen Non-Rx-Segmenten auf rund 300 Mio. Packungen kommen dürfte, mitnichten nur Arzneimittel, sondern auch Kosmetik, Nahrungsergänzungen, Medizinprodukte u. a. m. Die Non-Rx-Stückerträge können gut geschätzt werden und liegen in den Offizinen im Schnitt um 4,50 €, beim Versand im Gefolge viel günstigerer Preise trotz höherer Einkaufsrabatte weit niedriger.
Im Rx-Bereich gehen wir von rund 15 Mio. Versand-Packungen (Marktanteil knapp 2 %) in 2025 aus, bei Stückerträgen hier wie da von 10,00 €. Den Vor-Ort-Apotheken bleiben damit etwa 785 Mio. Stück. Aufgrund von Impfstoffen, Rezepturarzneimitteln etc. bleiben Unschärfen. Als Modellannahme, welche marktgerecht bis 2030 fortgeschrieben wird, ist das aber hinreichend. Die rechnerisch erzielten Branchen-Roherträge sind stimmig mit den real erzielten Werten.
Blick in die Zukunft
Wir drehen an entscheidenden Parametern und stellen die Frage: Wie viele Apotheken werden durch den zunehmenden Versandanteil verdrängt, mit Stichjahr 2030? Wir nehmen die Ist-Apothekenzahl (2025 um 16.600) sowie den jetzigen Rohertrag. Um die Apotheken rechnerisch auf dem heutigen Level nach Gewinn und Anzahl zu stabilisieren, müsste der Rohertrag jährlich steigen. Wir nehmen 2,5 % an. Daraus ergibt sich ein Ziel-Rohertrag 2030 – branchenweit und für den einzelnen Betrieb.
Geht nun ein Teil des Ertrages in den Versand, fehlt das insoweit und kann in eine Anzahl Betriebe umgerechnet werden, die davon durchschnittlich leben könnten, oder anders gewendet, die theoretisch durch den Versand verdrängt werden. Real würfelt sich das standortspezifisch anders aus und ist ein fortschreitender Prozess. Doch liefert diese Betrachtung eine wichtige Orientierung, wie hoch eine plausible Verdrängungswirkung ist. Zudem lassen sich Faktoren wie die Marktentwicklung oder der Einfluss der Honorarhöhe in ihrer Wirkmacht charakterisieren.
Selbst rechnen?
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Markante Ergebnisse
Tabelle 1 zeigt einige Modellrechnungen. Erreicht der Rx-Versand tatsächlich 100 Mio. Packungen in 2030 (bei einer Wachstumsrate wie aktuell ist das möglich, Rx-Marktanteil dann rund 12 %), bei gleicher Honorarlage wie heute, fallen rechnerisch allein deshalb 1.800 Apotheken weg (A).

Mit einer Rx-Honorarerhöhung um 1,15 € auf 9,50 € Festzuschlag reduziert sich das auf gut 800 Betriebe (B). Verbietet man den Rx-Versand, bei gleichem Honorar, fallen noch 560 weg (C). Kommen „Weihnachten und Ostern zusammen“ – Rx-Versandverbot, Honorarerhöhung um mindestens 1,15 €, plus sogar ein Non-Rx-Arzneimittel-Versandverbot – dann wäre rechnerisch sogar Platz für 1.500 neue Apotheken (D).
Grob gerechnet macht 1 % Rx-Marktanteil 100 durchschnittlichen Apotheken (und noch mehr kleineren) den Garaus. Starken Einfluss hat das allgemeine Marktwachstum. Würden alle Packungszahlen stagnieren, stünden nochmals fast 800 Apotheken mehr am Abgrund.
Umgekehrt würden 1,0 % höhere Rx-Rabatte (Entfall des Rx-Skonti-Verbots) wieder Luft für rund 600 Apotheken bedeuten. Diese Modellrechnungen zeigen, wie sensibel der Markt reagiert, aber auch, dass es Raum für interessante politische Tauschhandel geben könnte. In der nächsten Ausgabe werden wir diese Erkenntnisse weiter aufbereiten und Handlungsstränge ableiten.
Was leistet eine Apotheke fiskalisch?
Welche Beträge trägt eine Durchschnitts-Apotheke (3,5 bis 4,0 Mio. € Nettoumsatz) zu den Sozialversicherungen und Steuerkassen bei – abseits ihres gesundheitlichen Wertes?
- 120.000 € bis 140.000 € fließen an Sozialversicherungsbeiträgen für die Mitarbeitenden (Arbeitgeber und Arbeitnehmer),
- die (anrechenbare) Gewerbesteuer bewegt sich in einer Größenordnung von 20.000 €,
- 60.000 € bis 80.000 € fließen als Lohnsteuer der Angestellten,
- nicht zuletzt zahlen Inhaber in dieser Klasse oft 30.000 € bis 45.000 € Einkommensteuer, gemindert um die Gewerbesteuer-Anrechnung.
Das macht schnell an die 250.000 € jährlich, was eine Apotheke für die wichtigsten Gemeinschaftskassen erwirtschaftet. Zudem beträgt das Umsatzsteuervolumen um 700.000 €, wovon gut 100.000 € auf den „Mehrwert“ der Apotheke (entrichtete Umsatzsteuer minus Vorsteuer-Abzugsbeträge) entfallen.
Es werden 160.000 € bis 200.000 € Nettolöhne ausbezahlt, welche in die Vor-Ort-Kaufkraft eingehen. Die Gewinnverwendungsrechnung der Inhaber kommt obenauf. Weitere, hier nicht näher bezifferte, u. U. erhebliche Kosten entstehen aufseiten der Patienten in Form höherer Wege- und Zeitkosten, falls die Stammapotheke schließt.
Selbst eine Apotheke der 2,5-Millionen-Klasse sorgt noch für deutlich sechsstellige Beträge in den Kassen der Allgemeinheit (und den Haushaltskassen der Angestellten). Bei einer Schließung wird ein Teil u. a. durch Beschäftigung der Angestellten an anderen Orten aufgefangen, anderes entfällt ersatzlos.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(16):4-4