Umstellung der Telematik-Infrastruktur auf die neue TI 2.0

Verheißung oder Drohung? TI 2.0 in Sichtweite


Dr. Hubert Ortner

Ungeachtet der regelmäßigen Ausfälle der Telematik-Infrastruktur steht für 2026 die große Umstellung auf die neue TI 2.0 mit zentral gehosteten Highspeed-Konnektoren (HSK) auf der Agenda. Die neue TI-Gateway-Lösung verspricht eine deutlich bessere Leistungsfähigkeit sowie eine hohe Ausfallsicherheit, allerdings steigen auch die Kosten für Apotheken und Ärzte. Abgegolten werden diese über die monatliche TI-Pauschale. Der Artikel gibt Ihnen als Apothekeninhaber eine Einordnung, was mit dieser Umstellung genau auf Sie zukommt – abgesehen von neuem Ärger.

Die Telematik-Infrastruktur (TI) ist das zentrale digitale Netzwerk im Gesundheitswesen, über das sich alle Akteure vernetzen und untereinander sowie mit den Patienten Daten austauschen und spezielle Fachdienste nutzen. Weil Gesundheitsdaten besonders sensibel sind, wird die neue TI 2.0 auf einer sog. „Zero Trust“-Infrastruktur basieren: Das bedeutet, dass ohne vorherige Authentifizierung kein Zugriff auf das Netzwerk möglich ist. So weit, so gut.

Deutlich andere Lesart von „Zero Trust“

In der Praxis hat der Begriff „Zero Trust“ seit der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts vor anderthalb Jahren längst eine andere, weniger schmeichelhafte Konnotation bekommen: Aufgrund der regelmäßigen Ausfälle ist das Vertrauen vieler Apotheker und Ärzte in die Verlässlichkeit der TI zwischenzeitlich nämlich auf null gesunken.

Allein während der Recherche für diesen Artikel gab es mehrere Tage, an denen die TI für mehrere Stunden komplett ihren Dienst versagt hat. Mit fatalen Folgen: Für die Apotheken bringt es erhebliche finanzielle Einbußen, wenn das Rx-Kerngeschäft mal wieder für einen halben Tag „abgeklemmt“ wird. Und die Patienten reagieren verärgert, lassen ihren Frust oft in der Apotheke raus und wandern im schlimmsten Fall sogar zum Versandhandel ab. „Es ist derzeit so schlimm, wie vielleicht noch nie seit der Einführung der elektronischen Verordnung“, bringt Thomas Haddenhorst vom Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) die aktuelle Stimmung in vielen Betrieben auf den Punkt.

An der finanziellen Ausstattung der Gematik liegen die anhaltenden Probleme mit der TI sicher nicht, betont der renommierte Apothekenwirtschafts-Experte und AWA-Herausgeber, Prof. Dr. Reinhard Herzog: „Die TI ist eine zentrale Infrastruktur, für welche die Krankenkassen etliche Milliarden bereitgestellt haben. Die Umsetzung in die Praxis ist jedoch eine Frechheit: Wie kann man es bloß zulassen, dass eine so wichtige Infrastruktur sich derart zersplittert und am Ende nichts mehr funktioniert?“

TIaaS als Übergangslösung

Bislang erfolgte der Zugriff auf die TI

  • entweder über lokale Konnektoren in den Arztpraxen und Apotheken,
  • oder über zentral gehostete Konnektoren im Rahmen eines sog. „TI as a Service“-Modells (TIaaS).

 

Beim TIaaS-Konzept betreiben wenige spezialisierte Anbieter sog. „Konnektor-Farmen“ mit tausenden Konnektoren und ermöglichen den Apotheken sowie Ärzten darüber – gegen eine entsprechende monatliche Zuwendung – einen sicheren TI-Zugang.

Die Konnektor-Farmen bieten zwar eine höhere Ausfallsicherheit als lokale Konnektoren. So sind die Anbieter auf den Betrieb der Konnektoren und die TI spezialisiert, sodass sie im Falle einer Störung schnell reagieren und den Schaden i. d. R. zügig beheben können. Im Gegensatz dazu kann es beim Ausfall eines lokal in der Apotheke arbeitenden Konnektors schon mal mehrere Tage dauern, bis ein Ersatzgerät kommt und fertig installiert ist. Der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Ein 100 % verlässliches „Failover“ bieten aber auch die bisherigen TIaaS-Modelle nicht.

TI-Gateway: Echtes Failover inklusive

Ab 2026 soll die neue TI 2.0 ausgerollt werden: Bei dem neuen TI-Gateway-Modell kommen zentral gehostete Highspeed-Konnektoren (HSK) zum Einsatz. Im Gegensatz zum TIaaS-Modell wurde das TI-Gateway von der Gematik spezifiziert und die Anbieter zertifiziert. Unter anderem schreiben die Spezifikationen vor, dass die Anbieter ein zweites, redundantes Rechenzentrum mit HSK vorhalten müssen. Fällt das eine aus, springt automatisch das zweite ein – damit ist das wesentliche Merkmal eines echten Failover erfüllt. Außerdem sind die HSK wesentlich leistungsfähiger als die bisherigen Konnektoren.

Last but not least wird die Software bei TI-Gateway nicht mehr in den Konnektoren laufen, sondern in einer virtualisierten Umgebung. Fällt eine Maschine aus, dann kann der virtuelle Konnektor auf einer anderen Maschine gestartet werden – das geschieht vollautomatisch und unterbrechungsfrei.

Jochen Brüggemann geht davon aus, dass die lokalen Konnektoren zeitnah vollständig aus den Apotheken verschwinden und komplett von TIaaS-Verträgen abgelöst werden. Er ist Geschäftsführer der IT-Firma Red Medical, die im Mai 2020 als erster Anbieter mit einem TIaaS-Modell in den Apothekenmarkt gestartet ist. Der nächste Schritt – die Umstellung auf TI-Gateway – werde indes noch etwas länger dauern. Brüggemann: „Ich rechne damit, dass innerhalb der nächsten zwei Jahre die Hälfte der Apotheken ihren TI-Zugang auf TI-Gateway umgestellt haben wird.“

 

Drei Hauptursachen für die TI-Misere

Hört man sich im Markt um, was die Gründe für die regelhaften Ausfälle der Telematik-Infrastruktur sind, dann werden von Experten v. a. folgende drei Punkte genannt:

  • 1. Die zersplitterte Infrastruktur: Die TI besteht aus zahlreichen Einzelkomponenten (Hardware und Software), für die vonseiten der gematik hunderte Produkte zertifiziert und zugelassen wurden. Fällt nur eine einzige Komponente aus, versagt nicht selten das Komplettsystem.
  • 2. Die fehlende Komplettverantwortung: Die Politik hat es versäumt, der Gematik nicht nur für einzelne Komponenten, Spezifikationen und Prozesse, sondern auch für den funktionierenden Gesamtprozess explizit die Verantwortung zu übertragen. Damit läuft bei jedem TI-Ausfall dasselbe unwürdige Schwarzer-Peter-Spiel ab: Die Gematik erklärt: „Wir sind unschuldig.“ Der Schadensverursacher beteuert: „Wir arbeiten mit Hochdruck an der Problemlösung.“ Und die Patienten und Apotheken dürfen sich den Schwarzen Peter teilen. Böse Zungen behaupten sogar, es sei Absicht vom Bundesgesundheitsministerium gewesen, die TI-Gesamtverantwortung im Nebulösen zu belassen. Denn sonst hätten Ärzte und Apotheker den Bund als Mehrheitseigentümer der Gematik auf Schadensersatz verklagen können.
  • 3. Das Fehlen einer echten „Fallback-Lösung“ für die TI-Infrastruktur, die beim Ausfall der regulären TI automatisch einspringt. Namhafte Experten wie Mark Langguth, TI-Experte und langjähriger Abteilungsleiter bei der Gematik, hatten immer wieder auf die Notwendigkeit einer solchen Fallback-Lösung hingewiesen. Ihre Rufe verhallten jedoch irgendwo im politischen Nirwana zwischen Gematik, KBV und BMG ...

Quanto costa …?

Ein Kostenvergleich der verschiedenen Angebote für den TI-Zugang in Apotheken ist aus mehreren Gründen schwierig: Erstens sind die Preise nicht frei zugänglich, und die Anbieter haben wenig Interesse an deren Veröffentlichung. Zweitens verlangen manche Anbieter Zusatzgebühren u. a. für die Konnektoren und deren Einrichtung, während andere auf eine monatliche „All in“-Pauschale setzen. Das erschwert die Vergleichbarkeit. Drittens ist der Markt durch die anlaufende Umstellung auf die TI 2.0 gerade stark in Bewegung, was zur Folge hat, dass sich die Preise ähnlich häufig und schnell ändern wie auf dem Hamburger Fischmarkt.

Zum Ausgleich für die mit der Telematik-Infrastruktur verbundenen Kosten bekommen Apotheker die sog. „TI-Pauschale“. Diese wird zum Ende des Folgemonats aus dem Nacht- und Notdienstfonds (NNF) ausbezahlt und wird jährlich dynamisch auf Basis des Punktewerts der Ärzte (gemäß § 87 Abs. 2e SGB V) angepasst.

Die Höhe der Pauschale ist von folgenden vier Faktoren abhängig:

  • Wie viele Rx-Packungen gibt die Apotheke pro Jahr zu Lasten der GKV ab?
  • Kommen die verpflichtenden TI-Anwendungen vollständig zum Einsatz?
  • Wie hoch fiel die Erstattung nach der alten TI-Regelung aus?
  • Wann hat die Apotheke den TI-Zugang in Betrieb genommen?

 

Der Maximalbetrag für eine Apotheke mit mehr als 40.000 abgegebenen Rx-Packungen p. a., in der alle TI-Anwendungen vollständig laufen, liegt aktuell (für 2025) bei 290,46 € pro Monat.

Prof. Dr. Reinhard Herzog: „Die TI ist eine zentrale Infrastruktur, für welche die Krankenkassen etliche Milliarden bereitgestellt haben. Wie kann man es bloß zulassen, dass diese sich derart zersplittert und am Ende nichts mehr funktioniert?“

 

So sichern Sie den E-Rezept-Abruf ab

Der Ausfall eines TI-Konnektors ist nur eine mögliche Ursache, wenn der Zugang zur TI nicht funktioniert. Es gibt noch zahlreiche andere Hardware- und Software-Komponenten, die ausfallen können, und auch ein Internet- oder Stromausfall führt zum leider allzu vertrauten „TI Blues“: Rien ne va plus – nichts geht mehr.

Wie Sie als Apothekeninhaber alle für den E-Rezept-Abruf essenziellen Komponenten redundant absichern können, das haben wir in der Titelstory „Den E-Rezept-Abruf nicht abzusichern, wäre geradezu sträflich“ in der AWA-Ausgabe 1/2024 (ab S. 10) zusammengefasst.

 

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(18):10-10